Ich pflege seit 12 Jahren meinen an Demenz erkrankten Mann.
Als mir erste Anzeichen von Vergesslichkeit in einer für ihn fremden Umgebung auffielen, fuhren wir zur Abklärung in die Gedächtnisambulanz.
Die Diagnose des Arztes lautete: Alzheimer
Sein Arzt verordnete ihm ein Medikament, das ein Fortschreiten der Krankheit verzögern sollte. Ich kann sagen: Mit Erfolg.
Von diesem Zeitpunkt an war die medizinische Versorgung und Betreuung gewährleistet. Es wurden regelmäßig Tests durchgeführt und er nahm an 2 Studien teil.
Der Alltag zu Hause war vorerst nicht belastet. Trotzdem besuchte ich eine Gruppe für pflegende Angehörige. Der wichtigste Satz der Leiterin lautete: Wer pflegen will, muss sich selbst pflegen. Mir wurde Lektüre empfohlen, die ich sorgfältig und immer wieder las, um die einzelnen Phasen der Krankheit zu begreifen.
Als mein Mann eine Pflegestufe bekam, wollte ich, dass er einmal in der Woche in die Tagespflege geht. Mir wurde gesagt, zwei Mal wöchentlich sei für einen Demenzkranken besser und ich stimmte zu.
Ich war entlastet, doch ich wurde immer wieder mit Situationen konfrontiert, die mich zuerst verunsicherten, dann hilflos machten, bis ich schließlich allein nicht mehr weiterwusste.
Eine Betreuerin der Tagespflege meinte schließlich: Sie brauchen Hilfe. Sie empfahl mir Frau Schmidt, Mitarbeiterin der Beratungsstelle ADele – Mit Alzheimer und Depressionen leben lernen – Meckenheim, ein Angebot des SKM Siegburg.
Frau Schmidt kam zu mir nach Hause, um zu sehen und zu hören, welche konkrete Hilfe ich brauchte.
Sie unterstützte mich dabei, dass ab sofort ein Pflegedienst ins Haus kam, um meinen Mann zu duschen. Außerdem machte sie einen Vorschlag, wie ich eine kurzfristig abgesagte Reise mit meinem Mann doch noch antreten konnte.
Dann stellte sie mir das Marte Meo-Projekt vor und fragte mich, ob sie schwierige Alltagssituationen bei uns zu Hause mit der Videokamera aufnehmen dürfte. Ich war sofort einverstanden.
Einige Zeit später besprach Frau Schmidt die Auswertung des Films mit mir und zeigte mir kleine Sequenzen daraus. Es ging um die Frage: Was braucht mein Mann?
In einer kurzen Sequenz sah ich es: Er braucht Anleitung, ein positives Leiten, das ihm Sicherheit gibt.
Und mir wurde bewusst, dass mein Mann oft nicht weiß, was als Nächstes kommt. Deshalb sollte man die Dinge benennen, langsam und ruhig sprechen, nicht viel erklären und abwarten, bis die Information bei ihm angekommen ist.
Ich wusste jetzt, verzögertes Handeln meines Mannes hieß nicht: Ich mache das nicht, ich will das nicht.
Durch Marte Meo bekam ich konkret und verständlich vermittelt, wie ich mit neuen schwierigen Situationen umgehen kann.
Dadurch hat sich vieles vereinfacht und ich wurde sicherer.
Wie sehr ich die Marte Meo-Methode inzwischen verinnerlicht hatte, zeigt folgende Situation:
Mein Mann besucht einmal wöchentlich das Cafe Vergissmeinnicht. An einem dieser Nachmittage wollten die Betreuerinnen die Gäste, unsere Angehörigen, in den wunderschönen Garten begleiten.
Mein Mann wollte aber nicht. Das hörte eine Dame, die ihren Mann ebenfalls an diesem Tag ins Cafe begleitet hatte und redete auf meinem Mann ein: Es sei doch so schön draußen, ob er die vielen schönen Blumen schon gesehen habe, es gingen doch alle, das täte ihm bestimmt gut.
Ich saß neben meinem Mann und hörte nur zu. Mir fiel Marte Meo ein: langsam sprechen, immer nur eine Sache benennen!
Es erledigte sich dann alles von selbst, weil mein Mann zur Toilette wollte. Als er zurückkam, waren die meisten Besucher schon wieder zurück aus dem Garten.
Ich veränderte mich. Ich wurde sensibler und bemühte mich, Abstand zu gewinnen und nahm mir bewusst Zeit zum Atemholen. Bis heute versuche ich, mich auf das einzustellen und einzustimmen, was vor mir liegt. Ich nenne es meine Struktur, ein Ritual.
Am Morgen überdenke ich meinen Tag. Wieviel Kraft brauche ich heute und wofür setze ich sie ein? Nicht nur unsere demenzkranken Angehörigen brauchen Rituale und feste Zeiten. Auch wir brauchen sie.
Nicht nur unsere Angehörigen wünschen sich Aufmerksamkeit, wir schenken sie uns in gleichem Maße.
Die Pflege zu Hause ähnelt einem Beruf, für den ich mich entschieden habe, in dem ich mich weiterbilde, neue Aufgaben übernehme, weil dieser Beruf es erfordert; indem ich einen strukturierten Tagesablauf schaffe, kreativ werde, um mir das tägliche Leben zu erleichtern und, wie in anderen Berufen auch, Freiräume zu schaffen als Ausgleich zu meinen beruflichen Pflichten.
Mit dieser Entscheidung gebe ich bei „Dienstantritt" mein Bestes.
Vielleicht kommt der Zeitpunkt, an dem ich diesen „Beruf" nicht mehr ausüben kann. Dann gibt es neue Wege. Ich denke sehr oft an das, was Frau Aarts schreibt:
Schwierigkeiten in Möglichkeiten verwandeln.
Doch es verändert sich nicht immer sofort etwas. Manchmal ist auch keine Lösung in Sicht. Eine Woge von Gefühlen überkommt mich dann, die schmerzhaft sind und hilflos machen. Doch je schneller ich die Situation akzeptiere, desto kürzer ist die belastende Zeit des Aushaltens.
Dabei ist es so wichtig, weiterzumachen, die täglichen Pflichten nicht zu vernachlässigen, sich selbst wieder zu beachten, bis sich wieder innere Ruhe einstellt. Sie sollte ausgekostet werden. Ich genieße einfach, dass es wieder leicht geworden ist. Ich sehe plötzlich die Dinge, die ich gut kann, die ich gut gemacht habe und um die ich mich auch weiter bemühe. Wenn ich nur für eine kurze Zeit spüre, dass ich in Ordnung bin, dass es ausreicht, was ich tue, fühle ich mich unendlich erleichtert.
Am 21.10.2012 schrieb ich in mein Tagebuch:
„Frau Schmidt machte mich auf etwas sehr Positives aufmerksam. Sie erlebte, wieviel Freude wir noch zusammen haben, dass wir lachen können und wie sehr er mir vertraut."
Ich schaue dankbar zurück. Frau Schmidt war immer für mich da: aufmerksam, freundlich, verständnisvoll und aufbauend, wenn ich Fragen zu schwierigen Situationen hatte. Das hat Vertrauen geschaffen und mich motiviert.
Für mich ist sie eine wunderbare Vermittlerin der Marte Meo-Methode und ich bin überzeugt, dass sie es für viele Menschen noch werden wird. E.K.
Die guten Erfahrungen mit der Methode Marte Meo in der Beratung von Angehörigen von dementiell Erkrankten hat uns motiviert, auch in anderen Bereichen des SPZ mit dieser Methode zu arbeiten.
Auch hierzu ein Erfahrungsbericht. Es ist der Brief einer jungen, psychisch erkrankten Frau nach der dritten Sitzung mit der Methode Marte Meo.