Treffen in Bozen / Südtirol vom 25. bis 29. September 2022
1. Wenn wir die kennen gelernten Formen der Engagement (-förderung) betrachten: wie wirkt (soziales) Engagement in der Bildungsarbeit hinein?
Engagement findet in Südtirol besonders über das Vereinswesen statt. Hier ermöglicht der Staat eine Förderung von Engagement durch finanzielle Mittel, die wiederum die Gestaltung einer offenen und partizipativen Teilhabe der Bevölkerung fördert. Maßgebend für diese Öffnung war auch die Veröffentlichung des gesamtstaatlichen Kodex des Dritten Sektors (Non-Profit-Bereich), die eine Reihe von Bestimmungen und damit die grundlegenden Änderungen des Vereinswesens brachte. Durch diese Reform aus 2017 wurde ein wichtiger Wendepunkt gesetzlich verankert, der das Vereinswesen und damit den Zugang der Bevölkerung zum Dritten Sektor erweiterte.
Besonders hervorzuheben ist hier der Grundsatzes der Inklusion.
Ein besonders beispielhaftes Engagement im Sinne der Bildungsarbeit stellt hierbei der Verein der Elterninitiative „Kinder mit Behinderung“ dar, der nicht nur als wichtige Anlaufstelle für Betroffene und deren Familien fungiert. Dieser Verein widmet sich seit den 1970er Jahren besonders der Interessensvertretung von Kindern mit Behinderung und konnte bereits eine gesetzliche Verankerung von Inklusion im regulären Schulsystem Südtirols erwirken. Dies ermöglicht nicht nur die individuelle Förderung und gesicherte Bildung betroffener Kindern, sondern hatte auch eine Öffnung der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderung zur Folge. Durch die Begegnung von Kind zu Kind im regulären Ausbildungssystem wurde eine Form der „Normalität“ und kontinuierlicher Begegnungsraum geschaffen, der für mehr gegenseitiges Verständnis, Sichtbarkeit und auch Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft sorgt. Dies stellt eine wichtige Ebene der gesamtgesellschaftlichen Bildung dar, die Behinderung im Alltag normalisiert und neue Möglichkeiten eröffnet. Ebenso gefördert durch Engagement wird die berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderung. So werden beispielsweise beim Projekt „Landhausbar“, einem Cafè im Zentrum Bozens, eigens kreierte, zusätzliche Arbeitsplätze für Personen mit kognitiver Einschränkung geschaffen und durch individuell angepasste Lehr- und Lernfortschritte ein Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht. Dies fördert wiederum nicht nur die betroffenen Einzelpersonen, sondern auch Begegnungen im Alltag außerhalb des Bildungssystems und erzielt damit eine inklusive Wirkung.
Auch migrierte und geflüchtete Menschen werden besonders durch den Dritten Sektor unterstützt, beispielsweise durch Kolping im Zuge der Wohnraumvermittlung und durch die ehrenamtliche Organisation von Sprach-Lern-Hilfen. Ebenso fördert der Verein epunkt durch Praktikumsvermittlungen im Servicebereich Integration am Arbeitsmarkt und damit in der Gesellschaft.
All diesen Engagements gemein ist die individuelle Förderung von unterstützungsbedürftigen Einzelpersonen, aber auch die Schaffung von unterschiedlichsten Begegnungsräumen und sozialen Kontakten. Eine essentielle Form der gesellschaftlichen Bildung, die auch den Abbau von Vorurteilen fördert und neue Involvierungsformen eröffnet. Somit wird eine nachhaltige Form der Bildungsarbeit über Engagement in und mit unterschiedlichsten Vereinen gewährleistet.
2. Wo kann Bildungs- und soziale Arbeit in Europa davon profitieren (methodisch-didaktisch/Praxis)?
Die neu gewonnene Struktur durch die Reform des Dritten Sektors 2017 förderte eine Öffnung der Vereine und damit des Engagements. Eine essentielle daraus abgeleitete Norm für das Vereinswesen ist die vorgeschrieben Öffnung für jede Person unabhängig von Geschlecht, Religion, Herkunft und Sprache und sorgt damit für einen gleichberechtigten Zugang zu Engagement und Teilhabe in der Gesellschaft.
Des Weiteren werden dadurch neue Begegnungsräume eröffnet, die den Abbau von Vorurteilen und Rassismen, die in der heutigen Gesellschaft präsent sind, ermöglichen. Die Veränderungen und Erneuerung des Vereinswesen 2017 brachte eine bürokratischeren Ansatz in die Organisationsstrukturen von Vereinen ein und wirkt aktiv gegen Korruption in der Vereinswelt.
Die kennengelernten Formen des Engagements ermöglichen den unterschiedlichsten, benachteiligten Personengruppen einen Zugang zur Gesellschaft und unterstützen nicht nur die persönliche Weiterentwicklung, sondern auch eine gesellschaftliche. Die Entstehung und Aufrechterhaltung von „Parallelgesellschaften“ wird dadurch minimiert. Engagement ist hier der Weg zu einer inklusiven Gesellschaft, der gesetzlich verankert wurde im Vereinswesen und damit umgesetzt werden kann und muss. Südtirol fungiert besonders im Hinblick auf Inklusion von Menschen mit Behinderung als Vorbild für europäische Länder.
Die Öffnung der Gesellschaft in unterschiedlichsten Bereichen, wie Schule, Ausbildung, Berufswelt und die individuelle Förderung sind als essentielle Form und notwendiger Rahmen für Inklusion zu betrachten und bieten in Kombination einen nachhaltigen Lösungsansatz gegen Rassismus, Diskriminierung, Sprachliche Barrieren aber auch Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt.
Welche Konflikte können innerhalb der mehrsprachigen Gesellschaft aus dieser sprachlichen Situation entstehen, haben wir solche kennen gelernt?
Südtirol ist ein Teil Italiens, die italienischsprachigen Menschen stellen mit ca. 26% der Bevölkerung aber eine Minderheit dar (neben den Ladinern mit knapp 5%), die Mehrheit ist deutschsprachig.
Südtirol blickt auf eine lange Geschichte voller Konflikte und Diskriminierungen zurück, auf einen langen Kampf und ein zähes Ringen um Autonomie. Das kollektive Trauma, ausgelöst durch Unterdrückung in der Vergangenheit, wirkt bis in die Gegenwart. Die Wunden sind noch nicht verheilt, Nachwirkungen von Marginalisierung, Diskriminierung oder auch Missverständnisse, die daraus resultieren, sind bis heute sehr deutlich spürbar. Bis ins letzte Detail wird alles anteilig zwischen den unterschiedlichen Sprachgruppen aufgeteilt.
Es scheint insgesamt, dass die unterschiedlichen Sprachgruppen wenig verwoben sind, es wirkt eher wie ein Nebeneinander als ein Miteinander. Das Schulsystem ist getrennt, auch in Vereinen und Verbänden, in der Freiwilligenarbeit, etc. erfolgt eine starke Abgrenzung von den jeweils anderen Sprachgruppen.
Auch die neue gesetzliche Regelung des dritten Sektors in Italien mit dem enthaltenen – an sich positiv zu bewertenden – gesetzlich festgehaltenen Diskriminierungsverbot sorgt in diesem Zusammenhang für große Aufregung. Probleme, die sich aus der Geschichte und der aktuellen Situation ergeben sind zum Beispiel, dass öffentliche Stellen nicht nur nach Qualifikation, sondern auch nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sprachgruppe besetzt werden. Für gemischtsprachige Familien sowie deren Nachkommen ergeben sich daraus Schwierigkeiten und auch Spannungen dadurch, dass sie sich zu einer Sprachgruppe bekennen müssen. Regelrechte Identitätskrisen können die Folge sein (Wo gehöre ich hin? Wer bin ich? In welche Schule (Deutsch, Italienisch, Ladinisch) gehe ich/gebe ich meine Kinder?).
Stereotypen und Vorurteile bzw. negative Zuschreibungen verstärken die Trennung weiter. Diese Abwesenheit von Dialog kann in weiterer Folge zu Extremismus führen.
Welche positiven Effekte können innerhalb der mehrsprachigen Gesellschaft aus dieser sprachlichen Situation entstehen, haben wir solche kennen gelernt?
Sprache schafft Verbindung, Mehrsprachigkeit kann bewirken, dass die Menschen offener werden, voneinander lernen. Ein rumänisches Sprichwort besagt: „Je mehr Sprachen du sprichst, desto mehr Menschen bist du!“ und meint, dass sich mit dem Erwerb einer Sprache eine neue Welt (Kultur, Identität, …) erschließt, die das eigene Sein immens bereichert.
Ebenso verbindend, auch über Sprach- oder kulturelle Grenzen hinweg, ist eine gemeinsame Aufgabe, ein gemeinsames Ziel. Im Vortrag von XXX, Leiterin einer Elterninitiative zur Verbesserung der Situation von Kindern mit Behinderung in Südtirol, wurde dies deutlich spürbar. Sprache, unterschiedliche Sprachgruppen etc. spielten in diesem Vortag keine Rolle!
Wie kann Bildungs- und soziale Arbeit auf diese Situation eingehen?
Dialog und Offenheit bringen Verständnis und Respekt füreinander, eröffnen die Möglichkeit über gemeinsame Werte, gemeinsame Ziele und eine gemeinsame Zukunft nachzudenken. Und, nicht zuletzt: Sprache heilt. Erst durch das Reden, zum Beispiel über ein erlebtes Trauma, wird Heilung möglich.
Bildungs- und soziale Arbeit können Orte der Begegnung schaffen, den Wert der Vielfalt (anstatt der damit verbundenen Schwierigkeiten) betonen, den Fokus auf unterschiedliche Sichtweisen und Zugänge legen und dabei helfen, diese als Chance anzuerkennen. Auch Vorbilder, die diese Sichtweise vertreten und leben, können helfen. Projekte und Angebote, die bei jungen Menschen ansetzen, können die Zukunft des Landes Südtirol positiv beeinflussen.
Mehrsprachige Schulen könnten die gemeinsame Identität stärken. Auch Projekte oder Angebote mit einem gemeinsamen, verbindenden Ziel (Sport, Kultur, Soziales, …) können Brücken bauen und Menschen verbinden – auch über Sprachgrenzen hinweg.