Page 11 - maik-fachtagung-2013

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Kompakt Spezial 1/2013
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Vorläufges Fazit der Tandem-Studie
Hinsichtlich
fachlicher Qualitäten von
Kommunikation und Aktivität
ergibt das
Rating des Verhaltens der Fachkräfte in
den Einzelsituationen keinen relevanten
Geschlechtseffekt (mitAusnahme der grö-
ßerenGeduld dermännlichenFachkräfte).
Damit kann auchdie bindungstheoretische
Annahme, dass Frauen stärker einfühl-
sam-bindungsorientiert undMänner eher
herausfordernd-explorationsorientiert
interagieren,bezogen auf die Fachkräfte in
unserer Stichprobe nicht bestätigt werden.
Das heißt aber nicht, dass das Geschlecht
der Fachkräfte im Umgang mit den Kin-
dernkeineRolle spielenwürde.Zumindest
fnden sich Hinweise, dass
abhängig vom
Geschlecht unterschiedlicheTätigkeitenmit
denKindern realisiert und unterschiedliche
Inhaltsbereiche bedient werden.
Bestätigt
wird dies durch geschlechtsspezifsche
Unterschiede hinsichtlich derMaterialaus-
wahl und der entstandenen Produkte.Aus
den Interviews geht hervor, dass derartige
Neigungen sich auch in der Refexion der
Fachkräfte über ihre Vorlieben und Nei-
gungen in verschiedenenAktivitätsfeldern
der Kita wiederfnden.
Bemerkenswert ist, dass sich die stärks-
ten Unterschiede ausgehend vom
Geschlecht der Kinder zeigen; die Fach-
kräfte beiderlei Geschlechts realisieren
mit Jungen andere Aktivitäten als mit
Mädchen.
Die qualitative Analyse der videogra-
ferten Einzel- und Gruppensequenzen
erweitert diesenBefund insofern,als sich
Schlüsselszenen
identifzieren lassen, in
denen in unterschiedlichen Kontexten
ein
explizites „doing gender“
nach-
weisbar wird. Solche Schlüsselszenen
treten eher in gleichgeschlechtlichen
Konstellationen auf und korrespondie-
ren mit dem Gebrauch geschlechtlich
konnotierter Materialien. Bemerkens-
wert ist, dass in Szenen mit manifestem
Bezug zum „Geschlecht“ die Erzieher
oder Erzieherinnen häufg besonders
authentisch wirken sowie eher intuitiv
und weniger refektiert agieren. Bezü-
ge zumGeschlecht tauchen in unserem
Material folglich häufg „quer“ zu fach-
lichen Verhaltensstandards oder sogar
konträr zu ihnen auf. Sie sind eher mit
authentischem
als mit
professionellem
Verhalten verbunden.
Qualitative Hinweise auf „doing
gender“ durch Fachkräfte in der
Elementarpädagogik
Um diese Befunde zu unterlegen und
inhaltlich auf das theoretische Konzept
des „doing gender“ beziehen zu können,
werden in derTandem-Studie dasVerhal-
ten der Fachkräfte in denEinzelsequenzen
und Gruppensituationen zusätzlich inter-
aktionsanalytisch und kontextbezogen
qualitativ
ausgewertet und hierbei auch
die qualitativen Interviews mit den Fach-
kräften einbezogen. Dieser Teil der Stu-
die ist noch nicht abgeschlossen, dennoch
lassen sich einige vorläufge Ergebnisse
benennen.
Die Analyse ergibt bezogen auf die
Ein-
zelsituationen
, dass die meiste Zeit über
keine manifesten Hinweise auf explizite
Thematisierung von Geschlecht identif-
zierbar sind. Dies im Sinne von „undoing
gender“ zu interpretieren, erscheint aber
verfehlt, da vermutlich allein dieTatsache,
ob es ein Mann oder eine Frau ist, die
handelt, dem jeweiligen Geschehen eine
zusätzliche Bedeutungsebene
verleiht. Es
spricht einiges dafür, dass diese Bedeu-
tungsebene zumeist nicht als eigenständi-
ge sichtbar wird, sondern das Geschehen
wie ein
impliziter Subtext
„begleitet“ und
denAkteuren (ErwachsenenwieKindern)
auch häufg nicht bewusst ist.
Für diese Annahme spricht, dass sich in
unseremMaterial
Schlüsselszenen
identi-
fzieren lassen, in denen der geschlechtli-
che Aspekt in den Vordergrund tritt und
direkt oder indirekt von den Akteuren
dann auch thematisiert wird. Solche
Schlüsselszenen kann man im Sinne der
sprichwörtlichen „Spitze eines Eisbergs“
verstehen: Das über die meiste Zeit des
Interaktionsverlaufs nur unterschwellig
und implizit im Hintergrund wirkende
Gender-Thema wird unter bestimmten
Bedingungen manifest und damit auch
für Beobachter sichtbar.
In den Einzelsequenzen lassen sich solche
Schlüsselszenen häufger in geschlechts-
homogenen als in geschlechtsheterogenen
Konstellationen beobachten, zudem ste-
hen sie imZusammenhangmit spezifschen
Materialien oderTätigkeiten (Holz,Nägel,
Hammer bei Junge/Erzieher, Perlen oder
Märchenwolle bei Mädchen/ Erzieherin)
oder Phantasien/Assoziationen (Pistole,
Ritterburg bei Jungen; Haare, Kleid bei
Mädchen), die eine passende geschlecht-
liche Konnotation aufweisen.
Beispiel:BeimBau einerRitterburg sinnie-
ren Erzieher und Junge darüber, wie man
noch eine Papprolle in das Bauwerk inte-
grieren könnte.Dabei nimmt der Erzieher
in auffälligerWeise seine Stimme zurück
und füstert dem Jungen zu: „Wir könnten
daraus eine Kanone bauen …“
DenBetrachtern drängt sich der Eindruck
einer Männergemeinschaft auf,wobei das
Flüstern nicht nur die Nähe der Akteure
ausdrückt, sondern auch die Assoziation
erweckt,dass sie so etwas wie „Komplizen“
sind und eine Idee austauschen, die man
sonst vielleicht so nicht ausspricht.
P r o f . D r . H o l g e r B r a n d e s
In solchen Szenen sprechenErzieher/innen
auch eigene Vorlieben an bzw. auf Seiten
der Kinder kommt es zu Assoziationen
zu Vater bzw. Mutter. Dieser Befund aus
der qualitativen Analyse korrespondiert
mit Ergebnissen aus demRating sowie der
Produkt- und Materialanalyse.
Derartige Schlüsselszenen zeigen sich auch
in den Gruppensituationen, in denen die
Tandems gemeinsam mit einer Kinder-
gruppe konfrontiert sind.