KOMPAKT 2/2013
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M A R I O B R A U N / D A N I E L A S T E F F E S
Lassen sich Stärken und Schwächen von
Kindern oder auch alltägliche Konfiktsi-
tuationen besser verstehen, wenn wir sie
vor dem Hintergrund geschlechtsbezo-
gener Entwicklung betrachten? Können
wir Bildungsangebote vielfältiger und an-
sprechender gestalten, wenn wir typische
Themen und Interessen von Jungen und
vonMädchen in allen Bildungsbereichen
gezielt aufgreifen?
Die Arbeitshilfe wird durch ein online
Dokumentencenter ergänzt, welches um-
fangreichesMaterial für denunmittelbaren
Einsatz in derKita bereitstellt.Es ist darauf
ausgerichtet, eine einrichtungsspezifsche
und schrittweise Gestaltung des pädago-
gischen Alltags unter Aspekten der Ge-
schlechtergerechtigkeit zu unterstützen.
Praktische Handlungsfelder für Gender
in der Kita sind etwa die Raumgestaltung
oder der Umgang mit dem Medium Bil-
derbuch.Die Gestaltung von Spielsituati-
onen oder von Bildungsangeboten bietet
ebenfalls Anlässe.
Allen voran steht jedoch immer die Be-
obachtung des Verhaltens der Kinder
im Kita-Alltag. Erst aus dieser Vorweg-
Betrachtung lassen sich eigene Wege in
der Entwicklung von Konzepten und
konkretenMaßnahmen zur Entwicklung
geschlechtergerechter Pädagogik entwi-
ckeln.Dies ist insbesondere wichtig, da es
nicht das eine umfassendwirksameRezept
für geschlechtergerechte Angebote gibt.
Und folglich kann die Konzeptionierung
konkreterMaßnahmen durchaus zuKont-
roversen führen.Diese Kontroversen sind
für die Praxis inKindertageseinrichtungen
von großer Bedeutung:
Welche Haltung wir in solchen Kontro-
versen einnehmen, hängt natürlich nicht
nur von theoretischen Grundannahmen
ab, sondern noch mehr von persönlichen
Faktoren: von Erfahrungen mit eigenen
Kindern, von persönlichenVorlieben und
Unsicherheiten in derArbeit mit Kindern
und vor allem von biografschen Erfah-
rungen und dem eigenen Selbstbild als
Frau bzw.Mann (Rohrmann 2005: 248ff).
Raumgestaltung aus Gender-Sicht
In der Gestaltung räumlicher Rahmenbe-
dingungen gilt es, stereotype und mani-
festierende Realitäten zu überwinden. In
nicht wenigenKitas wird nachwie vor eine
geschlechtsspezifscheRaumaufteilung re-
alisiert. So fnden Jungen und Mädchen
jeweils Raumbereiche vor, die ihnen ent-
sprechend bestehender Rollenerwartun-
gen zugedacht sind, wenngleich sie auch
dem anderen Geschlecht grundsätzlich
zugänglich sind. Jungen etwa fnden eine
für sie gedachte Bauecke, Mädchen eine
zumRollenspiel einladende Nachbildung
häuslicher Realitäten, Jungen eine Bewe-
gungsecke,Mädchen einenKreativbereich.
In der Gestaltung solcher geschlechtlich
zugeordneter Spielbereiche erfolgt eine
die Zweigeschlechtlichkeit fundamentie-
rende Bedürfnisinterpretation, die nicht
selten mit derAnnahme einhergeht, dass
eine Geschlechtszuordnung für Kinder
essenziell sei.
Nicht zuletzt unter der Maßgabe der Öff-
nung von Räumen für eine inklusive Päd-
agogik ist zu beschauen, wie vorhandene
Räume von Kindern angeeignet werden.
Welche Lieblingsplätze fnden Kinder in
ihnen zurVerfügung stehenden Räumen?
Verteilen sich diese Plätze gleichermaßen
bei Mädchen und Jungen?
Diese Fragen lassen sich aus der eigenen
Beobachtung beantworten.Zugleich laden
sie ein, Kinder zu beteiligen. Sie können
direkt und unmittelbar befragt werden.
Eine gemeinsame Forschungsexpedition
vonKindern undErzieher/innen durch die
Kita, das ‚Markieren‘ der Lieblingsplätze
oder das Malen eben dieser Plätze sind
Möglichkeiten der Beteiligung.Allerdings
ist die Beteiligung kein Selbstzweck.Viel-
mehr fordert sie dazu auf, die kindliche
Sicht mit der eigenen professionellen Sicht
auf Raum zu vergleichen.
Schließlich lässt Raum sich bereits mit
kleinen Eingriffen in seinerAneignungs-
fähigkeit verändern. Sollte die Verände-
rung imRauman sich nicht sofort möglich
sein, lässt sich schon an einem einfachen
Raumplan einemöglicheVeränderung gut
nachstellen und diskutieren. Ob sich die
Wege von Jungen undMädchen imRaum
ändern würden, sie bestimmte Bereiche
nunmehr anders nutzen würden, kann
das Kollegium so nachvollziehen, bevor
das Verrücken von Möbeln beginnt oder
Spielbereiche umgedeutet werden.
Grundsätzlich sollten Räume in Kitas
offen sein. So bieten sie Möglichkeiten
der variablen Aneignung und Nutzung,
so laden sie zumAushandeln der Raum-
nutzung durch Jungen und Mädchen ein,
fordern die Kreativität der Kinder in der
Interpretation ihres Spiel-Platzes.Zudem
bieten eher offen gestaltete Räume Platz
zur Ermöglichung. Sie ermöglichen Be-
wegung, nicht selten kommt diese sonst
BrauchenMädchen besondereAngebote
zur Selbstbehauptung? Oder wird ihnen
gerade durch solcheAngebot möglicher-
weise indirekt vermittelt, dass sie Jungen
unterlegen sind und daher eine besondere
Förderung benötigen? Und umgekehrt:
VermittelnMaßnahmen der sozialen Jun-
genförderung diesenmöglicherweise, dass
sie behandlungsbedürftige „Problemfäl-
le“ sind? Dann haben vermutlich sowohl
Mädchen als auch Jungen auf derartige
Angebote keine Lust.
KönnenMädchen und Jungen geschlechts-
untypischeVerhaltensalternativen besser
in geschlechtsgetrenntenGruppen lernen,
weil hier Konkurrenz undVergleiche mit
demanderenGeschlecht wegfallen?Oder
werden in diesenGruppen gerade untypi-
scheMädchen und untypische Jungen zum
Außenseiter und zurAnpassung gedrängt,
während sie sich im gemischtgeschlechtli-
chenAlltagmit Kindern und Jugendlichen
des anderen Geschlechts zusammentun
können, die die gleichen Interessen haben
wie sie?
Brauchen Jungen mehr Bewegungsan-
gebote als Mädchen, weil sie einen hö-
heren „Bewegungsdrang“ haben? Oder
brauchen gerade Mädchen spezifsche
Bewegungsangebote, weil die Jungen ih-
nen bei gemischten Angeboten oft den
Raum nehmen? Oder aber sind beide
Alternativen problematisch, sollten viel-
mehr individuelle Unterschiede - auch
und gerade innerhalb der Geschlechts-
gruppen - Ausgangspunkt für fördernde
Maßnahmen sein?
(vgl. Rohrmann 2002)