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c a r i t a s
a k t u e l l
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konditioniert ist, kann es die tatsächlich ent-
haltenen Aromen nicht zuordnen. An einer
weiteren Station müssen Besucher mit Fo-
tokarten den Ablauf von Alltags-Tätigkei-
ten wie Kaffee kochen oder Brot schmieren
nachlegen. Den wenigsten gelingt das in
der korrekten Reihenfolge. „Man kann hier
sehr gut sehen, wieviel das Gehirn schon
bei banalen Alltagstätigkeiten leisten
muss“, sagt Monika Pigorsch. „Wenn das
Gehirn dann nachlässt, geht es nicht mehr.“
Das Beklemmende: Die Standbesucher
können jederzeit aus der Übung ausstei-
gen. Die Verwirrung ist ein vorüberge-
hender Zustand – für einen Demenz-
kranken ist sie Alltag.
Simpelste Alltags-
routinen wie Schuhe binden, Frühstück
machen, Kaffee kochen oder eben Zucker
auf einen Löffel streuen werden zu einer
Der Zucker will nicht auf den Löffel. Da-
bei ist das doch eine ganz simple Übung:
Löffel in der einen Hand, Zuckerstreuer in
der anderen – dann den Streuer neigen, den
Löffel darunter halten und den Inhalt rieseln
lassen. Schon tausendmal gemacht. Aber
jetzt stimmt die Koordination überhaupt
nicht.
Die Hände gehorchen dem Hirn
nicht. Die ersten Schweißperlen bilden
sich auf der Stirn. Eine gewisse Nervosi-
tät macht sich breit, die bald in erste An-
flüge von Aggression mündet.
Entnervt
gebe ich auf. Auf dem Löffel ist nicht das
kleinste Körnchen Zucker – auf dem Bo-
den dafür umso mehr. Ein frustrierendes
und zugleich faszinierendes Erlebnis. Das
Problem: Die Zucker-Übung wird vor ei-
nem Spiegel absolviert. Ein simpler Trick
mit durchschlagender Wirkung: Das spie-
gelverkehrte Arbeiten sorgt für totale Kon-
fusion im Kopf.
Wie mir geht es an diesem Freitagmittag
vor demRommerskirchener CAP-Einkaufs-
zentrum vielen Besuchern. Hier hat der
Caritasverband einen von der Evangelischen
Stiftung Tannenhof entwickelten „Demenz-
parcours“ aufgebaut. Organisatoren sind das
Senioren-Netzwerk und das Caritashaus
St. Elisabeth in Zusammenarbeit mit der
Gemeinde Rommerskirchen. Es geht da-
rum, Bewusstsein für Demenz und Sensi-
bilität für Demenzkranke zu wecken.
„Das Konzept ist genial“, sagt Monika
Pigorsch, Leiterin des Caritashauses St.
Elisabeth in Rommerskirchen und Autorin
von Fachbüchern zum Thema Demenz.
An
verschiedenen Stationen können die
Standbesucher auf spielerischeWeise die
Welt aus den Augen eines Demenzkran-
ken sehen.
Das Grundprinzip ist eine Ver-
wirrung des Gehirns. Vor einem Spiegel
versucht ein Mann, einen Schuh zu binden
– es gelingt ihm nicht. Auf einem Tisch ste-
hen beschriftete Dosen mit verschiedenen
Gewürzen und Aromastoffen – Lakritz,
Orange, Kümmel, Pfefferminz und einige
mehr. Beim Öffnen der Dose stellt sich je-
doch heraus, dass der Inhalt ein anderer ist.
Weil das Gehirn aber durch die Beschrif-
tung schon auf den vermeintlichen Inhalt
unüberwindbaren Hürde. Der Frust wird
zum Dauerzustand.
Die Betroffenen reagieren darauf wie
sehr viele der Testpersonen am Infostand:
verunsichert, ungeduldig, zunehmend ner-
vös, manchmal aggressiv. Manche Demenz-
kranken ziehen sich zurück, andere werden
wütend, klopfen auf den Tisch, fangen an zu
rufen. Jennifer Weidig kennt dieses Verhal-
ten. Der Infostand trägt dazu bei, es zu ver-
stehen, sagt die Leiterin des geschützten
Wohnbereichs im Caritashaus St. Elisabeth.
Hier leben 26 Menschen mit einer Demenz-
erkrankung im fortgeschrittenen Stadium.
„Es erleichtert die Arbeit, wenn man eine
Vorstellung hat, wie die Bewohner sich füh-
len. Mitarbeiter, die sich das nicht vorstel-
len können, können damit auch schlechter
umgehen“, sagt Jennifer Weidig.
Totale Konfusion im Kopf