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Kompakt Spezial 1/2013
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P r o f . D r . M a r g i t t a K u n e r t - Z i e r
Individuen erkannt und geschätzt werden.
Die Erzieherin und der Erzieher haben
dieAufgabe, das Kind kennenzulernen, zu
fragen, wer es ist, was es denkt, wünscht
und gerne mag, und sollen herausfnden,
was es braucht und wie und wann es För-
derung und Begleitung benötigt.
Nun wäre es positiv, wenn wir Kinder als
kleine Individuen betrachten könnten, los-
gelöst von der Geschlechterzugehörigkeit
und unseren eigenen unbewusstenBedeu-
tungen, die wir den Geschlechtern geben.
Das aber tun wir nicht.Auch wenn Erzie-
herinnen und Erzieher häufgmeinen, alle
Kinder gleichberechtigt zu behandeln, so
fießen tatsächlich unbewusstWertungen
hinsichtlich des Geschlechts in allen Inter-
aktionen mit ein. Fragen die Kinder also,
ob sie „richtige“ Mädchen oder Jungen
sind, so erwarten sie dazu angemessene
Antworten.
Für eine Pädagogik,dieMädchen und Jun-
gen gerecht werden will, stellt sich die Fra-
ge,wieMädchenund Jungendarinbestärkt
werden können, in erster Linie Eigensinn
und Individualität zu entfalten.Mädchen
und Jungen, die jenseits von einseitigen
Geschlechterzuordnungen zu Individuen
heranwachsen sollen,müssen zur Selbstbe-
stimmung befähigt werden. Selbstbestim-
mung schützt vor der Fremdbestimmung
und damit davor,Erwartungen anderer zu
erfüllen und sich an diese anzupassen.Und
starke Individuen sindweniger anfällig für
dieÜbernahme einengenderGeschlechts-
rollenerwartungen.
Die Kita in Zeiten des Gender
Mainstreaming
Dieser Perspektivenwechsel vom
Geschlecht auf das Individuum fndet
sich auch in den Bildungs- und Erzie-
hungsplänen.Mädchen und Jungen sollen
„eigene Interessen und Bedürfnisse über
die Erwartungen und Vorgaben anderer
stellen, wie man sich als Junge oder Mäd-
chen zu verhalten hat (Hessisches Sozi-
alministerium/ Hessisches Kulturministe-
rium 2007: 47). Geschlechtersensibilität
wurde ausdrücklich als Qualitätsmerk-
mal der pädagogischen Praxis in Kitas
beschrieben (AGJ 2012). Der „Gemein-
same Orientierungsrahmen Bildung und
Erziehung in der Kindheit“ sieht für die
Fachkräfte ausdrücklich „Gender- und
Diversitykompetenz“ vor (Jugend- und
Familienministerkonferenz 2010). In der
Kinder- und Jugendhilfe sollen schon seit
1990 in allen Angeboten die besonderen
Lebenslagen von Mädchen und Jungen
berücksichtigt werden,Benachteiligungen
abgebaut und Gleichberechtigung geför-
dert werden (§9.3 SGBVIII). Schließlich
sieht das Gender Mainstreaming, das seit
dem Jahr 2000 in Deutschland in öffent-
lichen Institutionen umgesetzt werden
soll, vor, dass es in der Verantwortung
der Leitungen von Einrichtungen liegt,
den Gedanken der Geschlechtergerech-
tigkeit in allen Ebenen einer Institution
zu implementieren und das Personal ent-
sprechend zu schulen.
Doch wie ist es um die Ausbildung der
sozialpädagogischen Fachkräfte hinsicht-
lich ihrer Genderqualifzierung bestellt?
In den Lehrplänen der Fachschulen für
Sozialpädagogik kommt weit weniger
häufg das Thema Gender vor als in den
Bildung- und Erziehungsplänen.Es hängt
vom Engagement einzelner Lehrkräfte
ab, ob Genderthemen vorkommen. Von
einer systematischen Qualifzierung der
Fachkräfte für ein geschlechterbewusstes
Arbeiten in Kitas kann bislang nicht die
Rede sein (vgl. (Cremers/Krabel 2012:
186).
Trotz des Gender Mainstreamings, das
auch eine geschlechtergerechte Präsenz
von Frauen und Männern in der Perso-
nalstruktur anstrebt, sind die Kitas heute
immer noch, wie Tim Rohrmann es 2001
ausgedrückt hat, „die Gärten der Frau-
en“.DerAnteil pädagogischer männlicher
Fachkräfte in Kitas betrug 2012 durch-
schnittlich 3,2 Prozent (vgl. Koordina­
tionsstelle Männer in Kitas).
Was bedeuten Frauendominanz und
Männermangel in der Kita für Mädchen
und Jungen?
Mädchen und Jungen treffen in der Kita
nachwie vor überwiegend auf Frauen.Was
bedeutet dies für Mädchen? Mädchen
wachsen in der Regel in enger Bindung
zur Mutter auf und wenden sich in gelin-
gendenAblösungsprozessen demVater als
„Dritten“ zu, der hilft, sie aus der Enge
der Mutterbindung zu lösen. Dennoch
stellt dasMädchen imAlter zwischen zwei
und drei Jahren fest, dass sie dem gleichen
Geschlecht der Mutter angehört, und
beginnt auf der Suche nach Geschlechts­
identität, sich mit ihr zu identifzieren.
Beim Eintritt in den Kindergarten setzt
sich diesesMuster der weiblichen Identif-
kationsfgur fort.Gibt es imKindergarten
ausschließlich Frauen, wird es den Mäd-
chen eher leichtfallen,ein neues weibliches
Identifkationsobjekt zu fnden.Der Ein-
tritt in den Kindergarten verläuft deshalb
in der Regel bei Mädchen undramatischer
als bei Jungen.
Jungen, die bei der Ablösung von der
Mutter sichmit ihremVater identifzieren
konnten, der dann auch als zuverlässiger
Partner zur Verfügung stand, beginnen
auf der Suche nach Geschlechtsidentität,