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Kompakt Spezial 1/2013
P r o f . D r . M a r g i t t a K u n e r t - Z i e r
sich mit männlichenVorbildern zu identi-
fzieren. Nun kommen die Jungen in den
„Garten der Frauen“ und suchen dort ver-
zweifelt nach einemMann.Sie grenzen sich
von denErzieherinnen ab, lehnen dieMal-
und Bastelangebote gemeinsammit Mäd-
chen ab, verkrümeln sich in die Bauecke
und suchen ihr Glück beim Fußballspiel
allein unter ihresgleichen – ein bekanntes
Phänomen.Wir sprechen auch von einem
Vakuum, auf das Jungen treffen, wenn sie
in den Institutionen der frühen Kindheit
männliche Identifkationsfguren suchen.
Jungen undMädchen bleibt so nichts ande-
res übrig,als ihreVorstellungen vonMänn-
lichkeit über die Gleichaltrigen oder über
Medienfguren, berühmte Fußballspieler
oder Männer in der Öffentlichkeit, wie
Polizisten, Feuerwehrmänner und Bauar-
beiter etc. zu beziehen. Diese Männlich-
keitsmodelle werden nur einseitig und
idealisiert wahrgenommen. Es fehlt den
Jungen und den Mädchen an alltäglichen
Auseinandersetzungen mit Männern und
damit auch an realitätsgerechtenVorstel-
lungen vonMännlichkeit.Weiblichkeitsbil-
der können durch die alltäglichen Begeg-
nungen und Auseinandersetzungen mit
Erzieherinnen durchaus differenziert sein.
Aufwachsen in einer „falschen Welt“?
In frauendominierten Kitas wachsen
Mädchen und Jungen letztlich in einer
„falschenWelt“, (weil männerfreienWelt)
auf, und dies, obwohl wir immer noch in
einer „Männergesellschaft“ leben. Die
Sicht auf die Männergesellschaft wird
Mädchen und Jungen durch die Erzie-
herinnen vermittelt. Auch die Sicht auf
die Wertigkeit der Geschlechter vermit-
teln Erzieherinnen; und sie sind es, die
ihre eigenen Geschlechtervorstellungen
Mädchen und Jungen auf der Suche nach
Geschlechtsidentität bewusst oder unbe-
wusst weitergeben.Die Bedeutungen von
Geschlecht werden auch in der Kita durch
die dort zusammentreffenden Erzieher
und Erzieherinnen und Kinder täglich
in Interaktionen hergestellt. Das müssen
pädagogische Fachkräfte wissen, denn sie
tragen maßgeblich dazu bei, wie kleine
Mädchen und Jungen hinsichtlich ihrer
Geschlechterbilder sozialisiert werden.
In einer von Frauen dominiertenKita erle-
ben Mädchen und Jungen, dass Frauen
für die Bildung,Erziehung undBetreuung
kleiner Kinder zuständig sind, dass dies
ein Beruf ist, den Frauen können; und sie
sehen, was diese Frauen tun, erfahren,
was ihnen Spaß macht und worüber sie
sich ärgern. Sie erleben Frauen in ihrer
Verschiedenheit und in unterschiedlichen
Gefühlslagen, die sie einschätzen lernen.
Mädchen und Jungen lernen auch, dass
Männer in der Gesellschaft mit anderen
Dingen zu tun haben,die wichtiger sind als
kleine Kinder. Und sie haben nur wenig
Ahnung, wer diese Männer sind, was sie
tatsächlich da draußen tun,was ihnen Spaß
macht und was sie ärgert. Dafür allein ist
zumeist derVater zuständig, dessenTages-
geschäft allerdings für die meisten Kinder
fremd bleibt.Aus der Sicht von Mädchen
wie Jungen werden also dringendMänner
inKitas benötigt, damit Mädchen wie Jun-
gen realitätsgerechteMännlichkeitsbilder
kennenlernen. Aber das kann nicht alles
sein!
Mehr Männer in Kitas – Chancen und
Herausforderungen
Der erste männliche Erzieher in der Kita
wird als „Exot“ erlebt und mit enormen
Hoffnungen und Erwartungen überfrach-
tet. Er repräsentiert allein durch seine
Geschlechtszugehörigkeit, dass etwas
Neues nie Dagewesenes geschieht. Die
Erwartungen an etwasNeues werden nicht
nur von Mädchen und Jungen, sondern
auch von den Erzieherinnen geteilt. End-
lich ist da einMann,dermöglicherweise all
die Dinge mit den Kindern machen kann,
die den weiblichen Erzieherinnen nicht
so liegen: Fußball spielen, raufen, wilde
Sachen machen, mit schwierigen Jungen
klarkommen. Berichte bestätigen diese
Entwicklungen (vgl.Kratz/Mahr 2013:21).
DenMännernwirdmehrDurchsetzungsfä-
higkeit attestiert, andereUmgangsformen
mit Gewalt,Aggression undMacht,mehr
Gelassenheit,mehr Handwerkskunst. Sie
sind ein Gewinn für die Väterarbeit und
helfen, den Erzieherinnen- bzw.Erzieher-
beruf aufzuwerten.Gleichzeitig stellen die
Erzieherinnen fest, dass sie „beinahe ohne
es zumerken, in Rollen schlüpfen, die seit
Jahrhunderten Frauen undMännern zuge-
sprochen werden“ (ebd.).
Auch wenn mehr Männer mit der Hoff-
nung auf neue geschlechtergerechteAnsät-
ze in der Kita eingestellt werden sollen,
besteht immer wieder die Gefahr, dass
Männer und Frauen in alte Rollenmus-
ter zurückfallen und damit eigentlich das
Gegenteil bewirkt wird. In einer Studie
zu Männern in der Sozialen Arbeit zwi-
schenRollenerwartungen und beruficher
Identitätsfndung (Mertens 2013) wurde
festgestellt,dassMänner,die bewusst indas
Arbeitsfeld der SozialenArbeit gegangen
waren,weil sie mit Menschen und nicht in
einemkonkurrenz- und leistungsorientier-
tenArbeitsfeld arbeiten wollten, von tra-
ditionellen Rollenerwartungen der Erzie-
herinnen überrascht wurden. Sie passten
sich den Erwartungen der Frauen an, um
sich als „richtige“ Männer zu beweisen.
Auch wenn für die befragtenMänner das
Geschlecht imBeruf desErziehers bzw.des
Sozialarbeiters ursprünglich keine hohe
Relevanz hatte, so doch für ihre eigene
Identität, die in Gefahr geraten würde,
wenn sie sich den traditionellen Rollen-
erwartungen der Kolleginnen entziehen
würden. Sie spielten also das traditionelle
DoingGender mit,weil sie ansonsten eine
Abwertung befürchteten.
Dieser Befund ist höchst bedenklich.
Solange die pädagogischen Fachkräfte die-
seGefahrennicht kennenundprofessionell
in ihre Interaktionen einbeziehen, kann
dasMehr anMännern zur Re-Aktivierung
traditioneller Geschlechtsrollenbilder in
Kitas führen, was ja gerade nicht gewollt
ist. Wünschenswert wäre die geschlech-
terparitätische Besetzung von Kitas, die
allerdings unmittelbar mit einer Gender-
qualifzierung verbunden sein muss!
Wir brauchen genderkompetente
Fachkräfte in Kitas!
Genderkompetenz bedeutet, „in Verhal-
ten und Einstellungen von Frauen und
Männern, Mädchen und Jungen soziale
Festlegungen imAlltag zu erkennen, und
die Fähigkeit, so damit umzugehen, dass
beidenGeschlechtern vielfältige Entwick-
lungsmöglichkeiten eröffnet werden“ (vgl.
Metz-Göckel 2002:2).