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Kompakt Spezial 1/2013
m i c h a e l g ü m b e l
Dabei wurden in drei unterschiedlichen
Betrieben Frauen undMänner nach ihrer
Wahrnehmung der Arbeitsbedingungen
befragt.DieErhebung brachte einige deut-
liche Erkenntnisse. Männer und Frauen
haben – wie sich auch im Forum gezeigt
hat – durchaus ähnliche Wahrnehmun-
gen der Bedingungen, die für jeweils ein
Geschlecht gelten.Besonders auffälligwar,
dass bei beidenGeschlechtern in allen drei
Betrieben immer nochdieVorstellung vom
„männlichen Familienernährer“ und von
der „weiblichen Dazuverdienerin“ vor-
herrschte, obwohl einzelne Befragte selbst
ein anderes Lebensmodell leben.Dennoch
wurden Männer durchweg als erwerbso-
rientierter angesehen als Frauen. In der
Folge werden die Anforderungen an sie
höher bewertet,während ihnen Fehler und
Schwächen weniger zugestanden werden.
Für Frauen ergibt sichdaraus einDilemma:
Entweder sie nehmen die damit verbunde-
ne Abwertung an und „gewinnen“ dabei
wenigstens eine (etwas) geringereArbeits-
belastung – oder siemüssen immer wieder
das Gegenteil beweisen und zeigen, dass
sie jederzeit kompetenter, belastbarer und
einsatzbereiter sind als ihre männlichen
Kollegen. Es zeigt sich, dass Geschlech-
terstereotype hier beide Geschlechter zu
Verlierenden machen.
Die Rollenbilder führen auch dazu, dass
bestimmte Belastungen überhaupt nicht
wahrgenommen werden, weil sie als
„natürlich“ und „normal“ für das jeweils
betroffeneGeschlecht angesehen werden.
So wurde bei männlichen Finanzbeamten
nicht gesehen, dass Durchsetzungsfähig-
keit gegenüber Steuerpfichtigen durchaus
eine hohe Anforderung darstellen kann.
Ebensowurde bei weiblichenVerkäuferin
nen nicht wahrgenommen, dass die ständi-
ge Freundlichkeit und das stets geforderte
attraktiveÄußere erhebliche Belastungen
darstellen.Wenn denn aber Männer „von
Natur aus“ durchsetzungsfähig sind und
Frauen „von Natur aus“ freundlich und
attraktiv, bleibt eine Anerkennung der
Belastung aus. Somit fndenMaßnahmen
zumAbbau der Belastungen oder wenigs-
tens zur Unterstützung der Beschäftigten
nicht statt.
Was bedeuten diese Erkenntnisse nun
für den Arbeitsplatz Kita?
Auch hier gibt es typischeBelastungen,die
häufg als „normal“ für Frauen angesehen
werden. Damit werden sie als Belastun-
gen nicht anerkannt und nicht bearbeitet.
Maßnahmen zum Abbau werden nicht
getroffen – wer damit ein Problem hat,
hat eben denBeruf verfehlt! Dagegen sind
typische Belastungen in der Kita durch-
aus arbeitswissenschaftlich anerkannt und
müssten bearbeitet werden.
DieVielfalt gleichzeitigerAnforderungen
ist für Frauen nicht weniger anspruchsvoll
als für Männer – weil eben auch Frauen
nicht wirklich „multitaskingfähig“ sind,
also ebenso wie Männer nicht wirklich
mehrere Dinge gleichzeitig tun können.
Die Arbeit in der Kita ist fachlich, sozial
und emotional eine hoch anspruchsvolle
Beziehungsarbeit. Es besteht eine hohe
Verantwortung für andere Menschen –
all das gilt es, vermehrt anzuerkennen.
Zugleich besteht in der Kita oft eine sehr
geringe Fehlertoleranz: Fehler werden in
der Regel nicht im System, in Strukturen
und Abläufen gesehen, sondern perso-
nalisiert. Wenn etwas passiert, wird von
Eltern und leider auch oft von Kollegin-
nen, Kollegen und Vorgesetzten viel zu
schnell der oder die „Schuldige“ gesucht
– eine wirklicheAuseinandersetzung mit
den Fehlerursachen kann dabei kaum
stattfnden.
Hinzu kommen häufig nicht optimal
geförderte Führungskompetenzen. All
das prägt immer wieder ein Arbeitskli-
ma, das von häufgen Konfikten geprägt
ist – schließlich scheint es oft vor allem
darum zu gehen,wer „recht hat“,weniger
darum, die zugrundeliegenden Anforde-
rungen und Belastungen ernst zu nehmen
und miteinander nach guten Wegen im
Umgang damit und derVerbesserung der
Bedingungen zu suchen.
Arbeitsschutz und
Gesundheitsförderung für Beschäftigte
DieRefexion derGeschlechterstereotype
kann dabei einenwichtigenBeitrag leisten.
Darüber hinaus gilt es, die gesetzlichen
und tariflichen Vorgaben zum Schutz
der Beschäftigten zu erfüllen: Nach dem
Arbeitsschutzgesetz ist für alleArbeitsplät-
ze eine sogenannte „Gefährdungsbeurtei-
lung“ durchzuführen. Dabei wird erfasst,
welche körperlichen, sozialen und psychi-
schen Belastungen und Anforderungen
mit einer Tätigkeit verbunden sind. Das
allein kann schon einen wesentlichen Bei-
trag zurVerbesserung leisten:Wenn denn
meineArbeit
tatsächlich
mit bestimmten
„regelmäßigen“ Herausforderungen und
Schwierigkeiten verbunden ist (wie z. B.
dem Umgang mit oft herausfordernden
Eltern),dann ist es nichtmeine persönliche
Schwäche, dass mir das nicht immer so
leicht gelingt und ich mich immer wieder
erschöpft fühle. Zumindest dieser Stress
wirddenpädagogischenFachkräftendamit
erleichtert.
Die gesetzlichen Vorgaben gehen aber
noch weiter: Nach der Bestandsaufnah-
me müssen die Kita-Träger Maßnahmen
ergreifen, die zu einer Verbesserung der
Situation führen. Das können technische
Veränderungen, z.B. zur Lärmminderung
oder zumVermeiden von Heben undTra-
gen von Kindern sein. Es können aber
auch organisatorischeVeränderungen,wie
verbesserteAbläufe,Qualifzierungen und
Unterstützungsangebote wie Supervisi-
on oder Teamcoaching sein – und nicht
zuletzt, kann es immer wieder sein, dass
diese gesetzlichenVorgaben nur mit mehr
Personal zu erfüllen sind.
Mittlerweile sind dieGefährdungsbeurtei-
lungen für viele Kitas auch imTarifvertrag
für den Sozial- und Erziehungsdienst des
öffentlichen Dienstes verankert (TVöD
S+E). Die Gewerkschaften ver.di und
GEW haben Material entwickelt, um
die Kitas und die Interessenvertretungen
bei ihrenAufgaben zurVerbesserung der
Gesundheitsbedingungen zu unterstützen.
ImRahmen des oben beschriebenen Pro-
jektes wurde auch eine Handlungshilfe
entwickelt, um die Frage der Geschlech-
terrollenbilder in die Gefährdungsbeur-
teilung zu integrieren.
4
Es gibt viel zu tun in den Kitas – damit
dieArbeitsplätze auf Dauer attraktiv wer-
den und die Arbeit auf Dauer ausführ-
bar bleibt – für männliche und weibliche
Beschäftigte!
4 Sonja Nielbock, Michael Gümbel: Arbeitsbedingun-
gen beurteilen – geschlechtergerecht. Hans-Böckler-
Stiftung/ver.di/Sujet 2010.