24
Kompakt Spezial 1/2013
P r o f . d r . M i c h a e l E l s
„Männer sind Schweine. Traue ihnen nicht, mein Kind. Sie wollen alle
nur das Eine, weil Männer nun mal so sind.“
(Die Ärzte)
Der Generalverdacht gegenüber
männlichen Erziehern
P r o f . D r . M i c h a e l E l s
Hochschule Niederrhein
Kollidieren Forderungen nachmehrMän-
nern in unseren fast rein weiblich gepräg-
ten Kindertageseinrichtungen nicht mit
einem unsere Gesellschaft prägenden
diffusen Generalverdacht gegenüber
männlicher Fürsorglichkeit und Sexua-
lität? Gibt es eine gegenüber Männlich-
keit und seinen lebendigen Eigenschaften
zutiefst misstrauische Haltung,wie sie die
obige Liedzeile derÄrzte persifierend auf
den Punkt bringt?
Anlass zu diesen Überlegungen bildeten
zahlreiche persönlicheErlebnisse, in denen
Männern zwar nicht die fachliche Kompe-
tenz als Erzieher abgesprochen, aber eine
diffuse, kaum fassbare Angst erkennbar
wurde, dass hinter der freundlichen, kin-
dorientierten Fassade als wahres Gesicht
der Triebtäter stehe.
Bei der Recherche für einen Präventions-
reader fel in einem Internetblog folgende
Frage auf:
Würdet ihr euer Kind in eine
Kita geben, wo fünf männliche Erzieher
arbeiten?
Unter den durchaus gemischten
Antworten fand sich typischerweise auch
folgende: „Nein, ein dickes Nein. Ich fnde
es gar nicht gut. Ich könnte nicht mehr
ruhig schlafen. Ich fnde Männer gehören
nicht dahin.Egal,was sie sagen. Jeder kann
sein wahres Gesicht verstecken.Und was
glaubt ihr alle, dass jeder, der auf Kinder
steht, ein Schild bei sich trägt, wo es drauf
steht. Nein danke. Da gehe ich lieber auf
Nummer sicher. Schließlich sind es kleine
Kinder.“
In einer örtlichen Kita wurde ein erster
Erzieher eingestellt. Prompt meldete des-
halb eine Mutter ihreTochter ab, obwohl
sie in einer anderenGruppe betreut wurde.
In der Fellbacher Zeitung vom 27. 7. 2010
las man folgende Passage: „In jedem Fall
hat er [ein Praktikant] gegen die Richt-
linien, die für männliche Praktikanten in
Backnanger Kindergärten gelten, ver-
stoßen. Gemäß diesen ist ihm zwar der
angemessene körperlicheKontakt mit den
Kindern nicht untersagt,wohl aber, ihnen
beimAn- und Auskleiden zu helfen.“
[…] Erika Schwiertz, die die Abteilung
Kitas in Waiblingen leitet, ist ebenfalls
glücklich, immerhin drei Männer in
einemTeam aus etwa 160 Erzieherinnen
zu haben.Aber auch inWaiblingen genießt
man dieMännermitVorsicht:DasWickeln
der Kinder und dieWaschräume sind für
sie auch hier tabu.
In einerArbeitshilfe für die Personalaus-
wahl kann man schließlich folgende Rat-
schläge lesen: „Im Bewerbungsgespräch
selbst sollten auch folgendeAspekte direkt
befragt werden:
– ob der Bewerber jemals einKind sexu-
ell misshandelt hat
– ob der Bewerber jemals sexuelle
Gedanken und Phantasien über Kin-
der hatte
– welche Gedanken und Einstellungen
der Bewerber in Bezug auf sexuelle
Kindesmisshandlung hat.“
1
Diese Fälle zeigen eine latenteAblehnung
männlicher Erzieher bei einigen Eltern,
eine misstrauische Haltung gegenüber
männlicher Sexualität, einschränkende
Arbeitsregeln für männliche Erzieher und
entwürdigende Fragen in Einstellungsge-
sprächen. Die Einstellungsfragen versto-
ßen gegen dasAllgemeineGleichbehand-
lungsverbot, da sie sich diskriminierend
nur anmännlicheBewerber richten,zudem
verletzen sie deren Persönlichkeitsrecht,
da sie unzulässig in deren Intimbereich
übergreifen.
Handelt es sich beim Generalverdacht
gegenüber männlichen Erziehern um
eine unzulässige Verallgemeinerung sol-
cher Einzelbeispiele oder ist die „negati-
ve Andrologie“
2
eine unsere Gesellschaft
prägende Deutungsstruktur?
Wennman der Frage einer unsere Gesell-
schaft prägendenDeutungsstruktur nach-
geht, sollte man sich natürlich zunächst
einmal selbst fragen, ob man nicht auch
bestimmte Aktionen von Erziehern kri-
tisch sehen würde, ein unangenehmes
Gefühl hätte oder Kollegen zur Vorsicht
raten würde? Für eine solche Introspekti-
on kann man Situationen wie die Folgen-
den nehmen:
Jungen/Mädchen sich auf den
Schoß setzen;Kuscheln nach demMittags-
schlaf; Toilettengang; Kinder wickeln …
Nach Erfahrung des Autors bejahen die
1 Zitat: Marie-Luise Conen, Arbeitshilfen für die
Personalauswahl zur Vermeidung der Einstellung pädo-
philer Mitarbeiter, in: Fegert, Jörg, M. / Wolff, Mechtild
(Hrsg.): Sexueller Missbrauch durch Professionelle in
Institutionen. Prävention und Intervention. Münster:
Votum Verlag 2002.