Kompakt Spezial 1/2013
7
P r o f . D r . H o l g e r B r a n d e s
Macht das Geschlecht einen Unterschied?
Ergebnisse der „Tandem-Studie“ zu professionellem Erziehungsverhalten
von Männern und Frauen in Kindertageseinrichtungen
P r o f . D r . H o l g e r B r a n d e s
M a r k u s A n d r ä , W e n k e R ö s e l e r ,
P e t r a S c h n e i d e r - A n d r i c h
Evangelische Hochschule Dresden
1
Es gibt einen breiten Konsens darüber,
dass wir mehrMänner inKitas wollen und
auch die Annahme, dass Kinder hiervon
proftieren. Es gibt aber kaum belastbare
wissenschaftlicheErkenntnisse darüber,ob
undwie sichmännlicheFachkräfte in ihrem
Umgang mit den Kindern von weiblichen
Fachkräften unterscheiden.
Diese Forschungslücke soll die vomBun-
desministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend geförderte Tandem-
Studie (2010 bis 2014) schließen.Sie hat das
Ziel, das Verhalten von männlichen und
weiblichen Fachkräften in Kindergärten
zu untersuchen und zu vergleichen.
Dabei sind
leitende Forschungsfragen
:
1. Unterscheiden sich männliche und
weibliche Fachkräfte unter fachlichen
Kriterien in ihrem konkreten Inter-
aktionsverhalten gegenüber Kindern
(beiderlei Geschlechts)?
2. Lassen sich improfessionellenKontext
die bindungstheoretischenAnnahmen
bestätigen,dass Frauen stärker einfühl-
sam-bindungsorientiert interagieren
undMänner eher herausfordernd und
explorationsorientiert?
3. Gibt es geschlechtsabhängige Neigun-
gen der Fachkräfte,mit Mädchen und
Jungen unterschiedliche Tätigkeiten
zu realisieren und unterschiedliche
Inhaltsbereiche zu bedienen?
4. Wie wirken Fachkräfte als geschlecht-
liche Rollenvorbilder und sind dies-
bezügliche Interaktionsprozesse (im
Sinne eines „doing gender“) identif-
zierbar?
Die Tandem-Studie basiert auf einem
methodenkombinierenden Ansatz, über
den Verhalten in alltagsnahen pädagogi-
schen Situationen erfasst wird. Im Mit-
telpunkt des Untersuchungsdesigns steht
eine quasi-experimentelle Spielsituation,
in der jede der einbezogenen Fachkräfte in
ihrer Interaktion mit jeweils einem Kind
geflmt wird.Hiermit wird an Studien zur
Bindungsforschung und dabei insbeson-
dere die mit Blick auf Väter entwickelte
experimentelle Spielsituation angeknüpft
(Grossmann/Grossmann 2004).Diese Situ-
ation ist dahingehend abgewandelt, als
nicht ein einzelnes Spielmaterial, sondern
ein Angebot verschiedener Materialien
undWerkzeuge zurAuswahl vorgegeben
ist. Der Zeitrahmen zur Arbeit mit dem
Material beträgt jeweils 20 Minuten.
DieSpielsequenzenwerdenmitVideotech-
nik aufgenommen und über ein Einschät-
zungsverfahren (Rating) in quantitative
Vergleichsdaten übersetzt.Hierzu sind ein
Ratingbogen mit 19 Items entwickelt und
ein eigenes Ratingteam gebildet worden.
Zusätzlich erfolgt eine qualitativeAnalyse.
Darüber hinaus sind alleTandems in einer
Gruppensituation mit Kindern aus ihrer
Gruppe geflmt und Interviews mit den
beteiligten Fachkräften durchgeführt wor-
den. Diese Bestandteile der Studie sind
noch nicht abschließend ausgewertet.
Ein Charakteristikum der Studie ist der
Rückgriff auf
Tandems
miteinander arbei-
tender Fachkräfte.Hiermit ist die Intention
verbunden, beimVergleich des pädagogi-
schenVerhaltens vonMännernundFrauen
auch systemischeEffekte zu erfassen.Dar-
über hinaus hat dieTandem-Konstruktion
denVorteil, dass sich hierdurch der Faktor
der
pädagogischen Konzeption
, vor deren
Hintergrund die untersuchten Fachkräfte
arbeiten, kontrollieren lässt.
Bedingt durchdieKomplexität desDesigns
beschränkt sich die Studie auf den
Kin-
dergartenbereich
und im Kern auf eine
Stichprobe von jeweils 40 Männern und
Frauen,die alsTandems zusammen in einer
Kindergruppe ihrer Einrichtung arbeiten.
Zusätzlich sind 12 Tandems von jeweils
zwei miteinander arbeitenden Frauen
untersucht worden. Insgesamt sind über
100 Fachkräfte aus mehreren deutschen
Bundesländern in die Studie einbezogen.
1 Der Tagungsvortrag wurde von Holger Brandes
gehalten. Gleichberechtigt beteiligt an der Datengewin-
nung, -aufbereitung und -diskussion sind aber Markus
Andrä, Wenke Röseler und Petra Schneider-Andrich.
Die dargestellten Ergebnisse bildenden Auswertungs-
stand vom Juni 2013 ab. Die Studie wird durchgeführt
an der Evangelischen Hochschule Dresden, Zentrum für
Forschung, Weiterbildung und Beratung.
Abb. 1: Standardisiertes Materialangebot
für die Einzelsituation