Page 28 - geschlechterperspektiven

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Aus Geschlechterperspektive fällt hier nun zunächst auf, dass die christliche Lehre
weitgehend durch Männer geprägt ist. Zwar sind bereits aus dem Mittelalter her-
ausragende Frauengestalten bekannt wie z.B. Hildegard von Bingen; die Mehrzahl
der historisch bedeutenden Kirchenlehrer ist jedoch männlich.
Die Praxis der religionspädagogischen Arbeit mit Kindern ist dagegen oft
„Frauensache“. Das gilt nicht nur für die religionspädagogische Arbeit in den
Tageseinrichtungen, sondern auch für die religiöse Erziehung in der Familie.
Möglicherweise könnte dies dazu beitragen, dass manche Jungen sich im Laufe
der Grundschulzeit weniger für religiöse Angebote interessieren. Katholische
Tageseinrichtungen bemühen sich daher um eine stärkere Einbeziehung von
Männern und Vätern in die religionspädagogische Arbeit.
Für die Praxis einer geschlechterbewussten religionspädagogischen Arbeit bietet
die katholische Theologin Silvia Habringer-Hagleitner (2009) drei Vorschläge an:
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„Das Fördern eigener und vielfältiger Gottesvorstellungen,
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den Rückgriff auf starke und eindrucksvolle Frauen- und Männergestalten in
Bibel und kirchlicher Tradition und insbesondere
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das Auseinandersetzen mit der Gestalt Jesu von Nazareth als einer integrier-
ten Persönlichkeit, die männliche und weibliche Persönlichkeitsanteile zeigte
und auslebte und somit für Mädchen und Jungen vorbildhaft sein kann. Denn
derselbe Mensch, der Macht über den Sturm und Dämonen hatte, wendet
sich schon in der nächsten Perikope zärtlich und fürsorglich den Schwachen
zu und zeigt auch Schwäche, Müdigkeit und Ohnmacht“ (Fleck, 2011, S. 139).
Diese Perspektiven ermöglichen Erzieherinnen und Erziehern in den katholischen
Tageseinrichtungen für Kinder im Erzbistum Köln die Entwicklung eines geschlech-
terbewussten Blicks in ihrer religionspädagogischen Arbeit.
Bibel und christliche Überlieferung bieten in der Tat ein reiches Repertoire an
Themen und Geschichten, zu denen mit Kindern gearbeitet werden kann. Viele
überlieferte Geschichten transportieren allerdings traditionelle geschlechtstypi-
sche Zuordnungen, die in unserer heutigen Gesellschaft antiquiert wirken, wenn
ihr historischer Zusammenhang nicht deutlich wird.
Zu bedenken ist zudem, dass Jungen und Mädchen die Texte der Bibel unter-
schiedlich aufnehmen: „Bibellesen hat ein Geschlecht“, wie es die katholische
Theologin Silvia Arzt ausgedrückt hat. Dabei wurde festgestellt, dass Jungen sich
nur mit männlichen Personen und manchmal auch neutralen Figuren identifzieren,
nicht jedoch mit weiblichen Personen. Mädchen dagegen identifzieren sich mit
weiblichen, aber auch mit männlichen und neutralen Figuren (vgl. Pithan, 2011).
Dies ist nicht verwunderlich, denn in der Bibel sind weit mehr männliche als weib-
liche Figuren zu fnden.
Dies macht sie zunächst insbesondere für die Arbeit mit Jungen interessant. Auch
und gerade im Alten Testament ist eine Vielfalt von „Männergeschichten“ zu ent-
decken, mit denen sich an typischen Jungenthemen und –interessen anknüpfen
lässt, die aber auch eine Erweiterung von stereotypen Männerbildern ermögli-
chen. Geschichten wie die vom kleinen David, der den Riesen Goliath besiegt;
von Joseph, der die Wahrheit aus den Träumen liest; vom (fast) unbesiegbaren
Simson, dessen Kraft in seinem langen Haar steckt; von Jona, der drei Tage im
Bauch eines Wals überlebt – das sind Geschichten, die aufgegriffen werden kön-
nen. Auch Heilige wie Nikolaus und Martin sind Männergestalten, die als mögliche
Identifkationsfguren für Jungen von Bedeutung sein können.
Entwicklung eines
geschlechterbewussten
Blicks
„Bibellesen hat ein
Geschlecht“
Vielfältige „Männer­
geschichten“ und
„Männergestalten“ für
Jungen
Stärkere Einbeziehung
von Männern und Vätern
Viele Ansatzpunkte für
geschlechterbewusste
Religionspädagogik