Page 8 - geschlechterperspektiven

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Das Neue Testament steht auf der einen Seite noch in einer Tradition, die Männern
mehr Rechte als Frauen einräumte – „wie es in allen Gemeinden der Heiligen
üblich ist“ (1. Kor 14,33). Auf der anderen Seite weist es den Weg zu einer Welt,
in der Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Vor diesem Hintergrund steht die
Forderung des 2. Vatikanischen Konzils: „Jede Art von sowohl gesellschaftlicher
als auch kultureller Diskriminierung in den grundlegenden Rechten der Person, sei
es wegen des Geschlechts, der Rasse, der Farbe, der gesellschaftlichen Stellung,
der Sprache oder der Religion, (ist) zu überwinden und zu beseitigen, da sie ja
dem Ratschluss Gottes widerspricht“ (GS 29).
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtlichkeit fndet wesent-
lich in Erziehungsprozessen statt, die immer ein personales und kommu-
nikatives Geschehen sind (vgl. Kardinal Sterzinsky, 2001). Der Ort, an dem
Geschlechtsidentität personal vermittelt und damit eine Auseinandersetzung mit
der eigenen Geschlechtlichkeit ermöglicht wird, ist in erster Linie zunächst die
Familie.
Darüber hinaus sind weitere Bezugspersonen von Bedeutung. Im Besonderen
sind dies die Erzieherinnen und Erzieher in den katholischen Tageseinrichtungen
im Erzbistum Köln, die ihnen anvertraute Jungen und Mädchen auf ihrem Weg
zum Mann- bzw. Frau-Sein begleiten.
Auch soll die Kirche ein Modell für das gleichberechtigte und partnerschaftliche
Zusammenleben und -wirken von Frauen und Männern sein (Die Deutschen
Bischöfe, 1981, S. 19).
Vor dem Hintergrund der christlichen Botschaft orientieren sich Katholische
Tageseinrichtungen für Kinder im Erzbistum Köln an einer Perspektive, die das
gleichberechtigte und partnerschaftliche Zusammenleben von Frau und Mann
fördert und diese Haltung Kindern vermittelt.
2.3 Die Entdeckung der Geschlechterunterschiede:
Entwicklungspsychologische Grundlagen
Wie entdecken nun Kinder die Geschlechterunterschiede? Für das Verständnis
der Geschlechterunterschiede und die Entwicklung der Geschlechtsidentität
ist das Kindergartenalter von zentraler Bedeutung (vgl. Rohrmann 2009,
Rohrmann/Sielert 2013). Bereits gegen Ende des ersten Lebensjahres fnden
erste Selbstkategorisierungsprozesse statt. Kinder können auch früh Männer und
Frauen voneinander unterscheiden. Erst zu Beginn des Kindergartenalters begin-
nen sie aber zu verstehen, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt, sondern, dass
sie zu einem dieser beiden Geschlechter gehören und sich dies nicht mehr ändern
wird (
Geschlechtskonstanz
). Dies kann für Kinder eine große Enttäuschung sein
und starke Neidgefühle auslösen, z.B. wenn ein Junge akzeptieren muss, dass er
niemals eine Mutter werden und ein Kind gebären kann.
Nach dieser „Entdeckung“ des Geschlechtsunterschiedes entwickeln Kinder ein
zunehmend weiter differenziertes Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit.
Im Alter von drei bis vier Jahren erkennen Jungen und Mädchen allmählich, dass
ihre Geschlechtszugehörigkeit durch Wünsche, Veränderungen des äußeren
Erscheinungsbildes oder geschlechtsuntypische Verhaltensweisen nicht verän-
dert werden kann.
Viele Kinder sind in der Folgezeit darum bemüht, „richtige“ Mädchen bzw. Jungen
zu werden, und verhalten sich zunehmend geschlechtstypisch – oft mehr, als es
den Erwachsenen lieb ist. Manche Kinder vermeiden das Thema ganz, während
wiederum andere Kinder auffällig untypisches Verhalten zeigen, vielleicht weil sie
noch nicht bereit sind, Interessen und Vorlieben der Kleinkindzeit aufzugeben, die
bei älteren Mädchen und Jungen gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert werden.
Neues Testament
weist den Weg zu
Gleichberechtigung
Familie und Kinder­
tageseinrichtungen:
beide bedeutsam
für Entwicklung der
Geschlechtsidentität
Geschlechtsidentität
entwickelt sich im
Kindergartenalter
Geschlechtstypisches
Verhalten nimmt gegen
Ende des Kinder­garten­
alters zu