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M Ä N N E R U N D F R A U E N I N D E R K I T A
gertes Problembewusstsein für sexualisierte Gewalt, etwa durch Berichte in den Medien,
dazu beigetragen.
Diffuses Gefühl der Verunsicherung – auch schon bei Fachschülern
Bereits männliche Fachschüler in der Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher entwi-
ckeln ein Gespür dafür, dass sie unter „Generalverdacht“ gestellt werden: „(…), dass einem
so sehr auf die Finger geguckt wird und so, dass (…) Da hab ich mir vorher halt schon sehr
viel einen Kopf drüber gemacht.Weil in den Medien halt immer der Mann als Übeltäter den
Kindern gegenübersteht. (…)“ (Fachschüler, 23 Jahre) (ebenda, S. 265). Dieses diffuse Gefühl
der Unsicherheit kann dazu führen, dass angehende Erzieher eine Tätigkeit im Arbeitsfeld
Kindertagesstätte von vornherein ausschließen.
Auswirkungen auf die pädagogische Praxis
Aber auch männliche Fachkräfte in Kitas leiden unter dem „Generalverdacht“. Teilnehmer
der regionalen Arbeitskreise für Männer aus Kitas des Projektes MAIK berichten davon,
dass sie zum Teil „nicht eindeutige Situationen“ von sich aus vermeiden – aus Angst vor fal-
schen Rückschlüssen auf ihre Motive.
Teilweise gibt es für Männer aber auch gesonderte Anweisungen durch Leitungskräfte oder
Träger, denen zufolge Männer im Kontakt mit Kindern sehr eingeschränkt werden (z. B. nicht
wickeln oder beim Toilettengang assistieren, Kinder nicht auf den Schoß nehmen etc.). Um
sich nicht der Gefahr auszusetzen, man habe sexuellem Missbrauch Vorschub geleistet, sehen
sich Verantwortliche veranlasst, derartige Regelungen zu treffen. Gleichzeitig wird jedoch
der „Generalverdacht“ damit weiter gefestigt – wenn schon der Träger oder die Leiterin dem
Mann nicht über den Weg traut…
Körperliche Nähe ist jedoch ein wesentlicher Bestandteil der pädagogischen Arbeit von
Fachkräften in der Elementarerziehung. EinVermeidungsverhalten beraubt männliche Päda­
gogen der Chance, Kindern zu zeigen, dass Männer nicht nur „wilde Kerle“ sein können
und mit Vorliebe toben und raufen, sondern auch feinfühlig und fürsorglich sind, trösten und
kuscheln können. Vermeidung körperlicher Nähe verhindert die Aufnahme einer vertrau-
ensvollen Bindung und Beziehung zum Kind. Ein Vermeidungsverhalten in diesem Kontext
verunsichert die Männer und die Kinder. Dies führt zwangsläufg zu einer Verminderung der
pädagogischen Qualität der Einrichtung und der Arbeitszufriedenheit der männlichen Fach-
kräfte.
Umgang mit dem Generalverdacht – eine Entwicklungsaufgabe für alle Beteiligten in der Kita!
Trägerverantwortliche wie auch Leitungskräfte sind im Bemühen um mehr männliche päda­
gogische Fachkräfte aufgefordert, sich mit den Themen „Generalverdacht“ und „sexueller
Missbrauch“ auseinanderzusetzen. Grundsätzlich gilt, „(…), dass Kitas, die eine ausgearbei-
tete Schutz- und Präventionskonzeption vorweisen, auch ihre männlichen Fachkräfte besser
vor falschen Verdachtsmomenten schützen“ (ebenda, S. 266).
Eine Kultur der Grenzachtung schaffen!
Es ist daher auch unumgänglich, klare und verbindliche Regeln für alle Mitarbeitenden
in Kitas, unabhängig vom Geschlecht, für den achtsamen und verantwortungsbewussten
Umgang mit Nähe und Distanz zu entwickeln und diese in das Gesamtkonzept der Einrich-
tung zu integrieren. Die Entwicklung solcher Regelungen sollte die Mitarbeitenden aber
nicht in professionellen, d. h. pädagogisch notwendigen und sinnvollen Körperkontakten ein-
schränken, sondern immer unter der Prämisse einer körperfreundlichen Pädagogik erfolgen.
Unerlässlich ist zudem, dass auch die Mitarbeitenden untereinander ein transparentes Ver-
halten amArbeitsplatz pfegen, das gegenseitige Einblicke ermöglicht und fördert. Gleichzei-
tig sollen sie gestärkt werden, zeitnah und angemessen Grenzverletzungen durch Kolleginnen
oder Kollegen zu thematisieren. Loyalität hat dort ihre Grenzen, wo ggf. Kinder geschützt
werden müssen.
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