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c a r i t a s
a k t u e l l
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„Ich bin keine Schmarotzerin“
Mihaela L. sprach kaum Deutsch, als
sie Ende 2011 aus Rumänien hierher
kam. Aber um das Getuschel und die
skeptisch-herablassenden Blicke wahr-
zunehmen, brauchte sie keine Sprach-
kenntnisse.
Und das Wort „Zigeuner“, das
sie manchmal aus dem Getuschel heraus-
hörte, verstand sie auch ohne Übersetzung.
Zu den ersten Worten, die sie lernte, gehör-
ten „Sozialschmarotzer“ und „Armutszu-
wanderer“. Die kamen im Getuschel ge-
nauso häufig vor.
In Bukarest hatte Mihaela L. Bank- und
Finanzwesen studiert. Danach arbeitete sie
als Buchhalterin. Ihr Mann hatte einen Job
als Metzger. Für rumänische Verhältnisse
war das Ehepaar in der Mittelschicht, aber
ohne die Sicherheiten und Annehmlichkei-
ten, die dieser Begriff in Deutschland sug-
geriert. Es reichte zum (Über-)Leben. Ihr
Mann ging schon 2007 nach Deutschland.
Heute arbeitet er in einem Zerlegebetrieb.
Seine Frau folgte ihm vier Jahre später.
Es war kein leichter Start für Mihaela L.,
nicht nur wegen der Tuscheleien. Ihre Aus-
bildung wird in Deutschland nicht aner-
kannt. Sie musste ganz von vorn anfangen,
machte zuerst einen Sprachkurs beim Cari-
tas-Fachdienst für Integration und Migra-
tion in Neuss. Verbissen lernte sie Deutsch.
„Die Sprache ist das Wichtigste. Der Rest
kommt von allein“, sagt sie. Heute spricht
sie mehr als nur passabel Deutsch.
Man
merkt, dass sie viele Vorurteile überwin-
den musste. Noch immer wechselt sie
häufig in den Rechtfertigungs-Modus:
„Wir haben nie Sozialhilfe bekommen.
Wir möchten uns aus eigenen Kräften
etwas aufbauen. Wir möchten ein nor-
males, einfaches Leben führen.“
Rechtfertigen muss sich seit dem 1. Ja-
nuar 2014 niemand mehr, der aus Bulgari-
en oder Rumänien nach Deutschland kommt.
Seit dem Jahresanfang genießen Zuwande-
rer aus diesen Ländern volle Freizügigkeit.
Sie haben Rechte und Pflichten wie alle
EU-Bürger. Sie sind keine Flüchtlinge.
Und sie haben ein Anrecht, sich Arbeit zu
suchen, erklärt Maria Reinprecht-Kokki-
nis, Leiterin des Fachdienstes für Integra-
tion und Migration.
Und doch wird das Thema in Deutsch-
land oft auf das Stichwort Sozialtourismus
verkürzt – auf Armutsflüchtlinge, die sich
nicht integrieren, sondern staatliche Leis-
tungen abgreifen wollen.
„Man spricht
nur über Armutszuwanderung, aber
nicht über Menschen, die sich reibungs-
los integrieren“, sagt Mihaela L.: „Ich
bin keine Schmarotzerin.“
Über den Fachdienst für Integration und
Migration erfuhr die 26-Jährige vom Pro-
jekt „Bunte Pflege“. Darin ermöglicht der
Caritasverband Menschen mit Migrations-
hintergrund eine nachhaltige Ausbildung in
einem Pflegeberuf. Mihaela L. hat das Pro-
jekt durchlaufen und als Sprungbrett ge-
nutzt. Am 1. April hat sie ihre Ausbildung
in einem Altenheim begonnen. Ein großer
Tag.
Deutsch gelernt, eine Qualifizie-
rungsmaßnahme absolviert, den Einstieg
ins Berufsleben geschafft – keine schlech-
Worte und Unworte
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
das Unwort des Jahres 2013 lautet „Sozialtourismus“. Einige Politiker und einige Me-
dien machen damit Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, vor allem wenn sie aus
Osteuropa einreisen. Es wird pauschal unterstellt, dass Menschen ausschließlich deswe-
gen in unser Land kommen, weil sie vom deutschen Sozialsystem profitieren wollen,
ohne dafür eine Gegenleistung oder auch nur den Willen zur Integration aufzubringen.
Das Unwort des Jahres 2013 steht übrigens in einer unguten Tradition. 2010 belegte die
Sprachkreation „Integrationsverweigerer“ den zweiten Platz bei der Wahl zum Unwort
des Jahres. 2009 schaffte es die „Flüchtlingsbekämpfung“ ebenfalls auf Platz zwei.
Diese fragwürdigen Sprachschöpfungen sind Symptome eines tiefen Misstrauens und
einer latenten Angst vor Zuwanderern. Wir müssen diesen Unworten etwas entgegenset-
zen. Unser „Wort des Jahres“ lautet daher: Willkommenskultur.