Page 14 - caritas-aktuell-2-14

This is a SEO version of caritas-aktuell-2-14. Click here to view full version

« Previous Page Table of Contents Next Page »
Hein mit Sorge fest, dass es immer weni-
ger Wohnraum für Menschen gibt, die
auf staatliche Hilfeleistungen angewie-
sen sind.
In den vier alten Wohntürmen an
der Hülchrather Straße gab es solchen
Wohnraum. Doch die 145 Wohnungen fal-
len nun der Abrissbirne zum Opfer. Der
erste Block ist bereits abgerissen. Als das
Foto auf dieser Seite entsteht, sind davon
nur noch ein großes Loch und ein Haufen
Schutt übrig. In den nächsten Wochen wer-
den auch die übrigen drei Blocks fallen.
Hilfeempfänger müssen viele Hürden
überwinden, um eineWohnung zu finden.
Eine große ist vor allem die Mietpreis-
deckelung.
Der Rhein-Kreis Neuss hat so
genannte „Angemessenheitsgrenzen“ zur
Wohnraumvermietung an Hilfeempfänger
festgelegt. In der Stadt Neuss zum Beispiel
liegt diese Obergrenze für eine Ein-Perso-
nen-Wohnung bis 50 Quadratmeter bei
391,50 Euro Bruttokaltmiete (Nettokalt-
miete zuzüglich Betriebskosten ohne Hei-
zung und Strom). Alle Wohnungen, die
oberhalb dieser Grenze liegen, sind für Hil-
feempfänger nicht realisierbar. Liegt eine
Wohnung innerhalb der Angemessenheits-
grenze, kann das Jobcenter zustimmen,
wenn der Wohnungssuchende eine Vermie-
terbescheinigung vorlegt. Dann übernimmt
das Jobcenter auch die Miete. Theoretisch
ist es auch möglich, dass ein Hilfeempfän-
ger für eine teurere Wohnung die Differenz
zur Obergrenze selbst bezahlt. In der Pra-
Die Wohntürme an der Hülchrather Stra-
ße in Neuss-Weckhoven sind kein archi-
tektonischerAugenschmaus: würfelförmige
Wohnblöcke mit acht Geschossen. Ent-
standen sind sie in den 1960er Jahren, um
zweckmäßigWohnraum für eine wachsende
Stadt zu schaffen. Doch die Anforderungen
haben sich gewandelt, und darum will die
Stadt Neuss gemeinsam mit dem Eigentü-
mer, demNeusser Bauverein, hier ein neues
Stadtquartier schaffen. Dazu haben die
Stadt, das NRW-Bauministerium und der
Bauverein in Kooperation mit der Archi-
tektenkammer NRW einen landesweiten
Wettbewerb unter demMotto „Nachhaltige
Nachbarschaften – Generationenübergrei-
fende Quartiersentwicklung – Wohnen in
Neuss-Weckhoven“ ausgeschrieben. Der
Siegerentwurf sieht einen attraktiven Mix
aus Mehrfamilien- und Einfamilienhäusern
vor. Ergänzend ist ein Familienzentrum für
soziale Dienste geplant, das unter anderem
barrierefreie Wohnungen mit Pflege- und
Serviceangeboten für Senioren und Behin-
derte beherbergt. 175Wohneinheiten sollen
insgesamt entstehen, teils öffentlich geför-
dert, teils frei finanziert.
Das alles sieht auf den ersten Blick sehr
positiv aus – aber bei Werner Hein lösen
die Pläne gemischte Gefühle aus. Denn das
Vorhaben ist ein weiterer Mosaikstein ei-
nes Gesamtbildes, in dem für die Schwächs-
ten immer weniger Platz bleibt.
Als Fach-
bereichsleiter Wohnungslosenhilfe stellt
xis ist das aber meist illusorisch, weil der
Regelsatz von 391 Euro monatlich kaum
Spielräume lässt und das Jobcenter dann
nur den Mietzins bis zur Angemessenheits-
grenze übernimmt, erklärt Hein.
Ein existenzielles Problem ist die Miet-
preisdeckelung für Hilfeempfänger, die
bereits seit längerem eine Wohnung ha-
ben, aber durch die Anpassung der Sät-
ze über die Angemessenheitsgrenze ge-
rutscht sind. Sie bekommen vom Job-
center die Aufforderung, sich günstige-
renWohnraum zu suchen.
Das wiederum
erhöht den Druck auf dem ohnehin
schrumpfenden Markt.
Selbst wenn Hilfeempfänger Wohnraum
innerhalb der Mietobergrenze finden, heißt
das noch lange nicht, dass sie diesen reali-
sieren können. Die meisten Vermieter ver-
langen von Bewerbern eine Schufa-Aus-
kunft. Die fällt oft infolge langjähriger Ar-
beitslosigkeit negativ aus. Dies führt in sehr
vielen Fällen dazu, dass diese angemessenen
Wohnungen dennoch nicht realisierbar sind.
Im neuen Wohnquartier an der Hülchra-
ther Straße sieht Hein ebenfalls wenig Per-
spektiven für seine Klientel. Zwar soll es
dort öffentlich geförderten Wohnraum ge-
ben, doch der dürfte aus Sicht von Hein
kaum innerhalb der Mietobergrenzen reali-
sierbar sein.
Der soziale Wohnungsbau ist seit Jah-
ren bundesweit rückläufig, weil Investo-
ren sich verstärkt auf den attraktiveren
freien Wohnungsmarkt konzentrieren.
„Letztlich ist die Mietobergrenze und
die Entwicklung im sozialenWohnungs-
bau ein Instrument zur Wohnraum-Se-
lektion“, sagt Hein „Ich sehe imMoment,
dass es immer schwieriger wird, für Hil-
feempfänger adäquaten Wohnraum zu
finden. De facto findet eine Verdrängung
unterer Einkommensschichten statt.“
Seine Forderung: „Als soziale Stadt muss
man auch im unteren Segment Wohnraum
vorhalten.“
Wohnungslosenhilfe
Werner Hein
Breite Str. 105
41460 Neuss
Tel.: 02131/7395220
cafe-ausblick@caritas-neuss.de
Wohnraum-Selektion