Caritas Neuss - Jahresbericht 2016 - page 7

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Alles verkehrt: Demenzkranke
nehmen ihre Umwelt anders
wahr als Gesunde.
Caritas im Rhein-Kreis Neuss
Schulungen für
pflegende Angehörige
Demenz ist die Krankheit
der Angehörigen. So formu-
liert es die langjährige Alten-
heim-Leiterin und Fachbuchautorin
Monika Pigorsch. Sie bietet gemeinsam mit
ihren Kolleginnen Cordula Bohle und Beate Müller
Schulungen für Angehörige von dementiell verän-
derten Menschen an. Ganz bewusst richtet sich
der Blick hier nicht nur darauf, was die Krankheit
Demenz mit den Betroffenen macht, sondern auch
mit den pflegenden Angehörigen.
Das Vergessen ereilt den Demenzkranken auf allen
Ebenen – bei der Gedächtnisleistung, bei der Spra-
che und auch bei vermeintlich selbstverständlichen
Alltagskompetenzen wie dem Zubinden eines
Schuhs. Ist die Krankheit fortgeschritten, erleben
die Betroffenen diese Verluste meist gar nicht
mehr. Für die Angehörigen sind sie dagegen Tag
für Tag umso schmerzlicher präsent. Sie leiden da-
runter, dass sie den Kranken verstandesmäßig
nicht mehr erreichen, dass lieb gewonnene Ritua-
le, Hobbys und Aktivitäten nicht mehr funktionieren.
In den Kursen lernen die Angehörigen damit um-
zugehen, dass sich das Leben verändert und ge-
wohnte Tagesstrukturen sich auflösen. Es gilt, die
Wünsche und Bedürfnisse des Kranken wahrzu-
nehmen und darauf einzugehen, statt dagegen zu
arbeiten. Monika Pigorsch nennt ein Beispiel:
Wenn der Betroffene einen schlechten Tag hat,
muss es dann bei der Körperpflege das volle Pro-
gramm sein oder reicht an diesem Tag nicht auch
eine Katzenwäsche?
Die Kursteilnehmer be-
kommen Hintergrundwis-
sen über die Krankheit. Sie
erfahren, dass auch das
Wohnumfeld angepasst werden
sollte, wenn motorische Fähigkeiten
ebenfalls nachlassen. So sollten Stolperfallen
beseitigt oder kleine Hilfen wie Handläufe montiert
werden. Es kann sinnvoll sein, einen Lieblingsplatz
herzurichten, an dem der Betroffene Anregung fin-
det und auch zur Ruhe kommen kann. Ganz wich-
tig: Die Angehörigen müssen eine andere Sprache
lernen. Es ist die Sprache der Gefühle, denn auf der
rationalen Ebene ist der Kranke nicht mehr zu errei-
chen. Auch hier ein Beispiel: Wenn ein Mensch mit
Demenz seine Armbanduhr nicht findet und seiner
Tochter vorwirft, sie habe ihn bestohlen, wäre die
natürliche Reaktion, sich zu verteidigen. Das würde
aber nur zur Eskalation führen. Effektiver ist es, auf
die Sichtweise des Kranken einzugehen und zu
sagen, dass das wirklich unglaublich sei und man
niemandem mehr vertrauen könne. So fühlt sich
der Mensch verstanden.
Schulungen für Angehörige von Demenzkranken
bietet der Caritasverband seit mehreren Jahren an.
Der Bedarf ist sehr groß. Acht Abende umfasst ein
Kurs. Die Kosten übernimmt in der Regel die Kran-
kenkasse. Jeder Kursabend hat ein Leitthema, zum
Beispiel Hintergrundwissen über die Krankheit De-
menz, Kommunikation, Betreuungsrecht oder in
Würde Abschied nehmen. Viele Teilnehmer berich-
ten im Anschluss, dass sich die Situation zuhause
entspannt hat. Sie lassen „ fünf gerade sein“ und
stellen sich darauf ein, dass jeder Tag ein neues
Experiment ist.
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