caritas aktuell - Ausgabe 03/2017 - page 3

Kinder psychisch kranker Eltern haben ein deutlich erhöhtes Risiko,
später selbst eine psychische Störung zu entwickeln. Darum sind Infor-
mation, Aufklärung und Enttabuisierung so eminent wichtig. Der Cari-
tasverband Rhein-Kreis Neuss und der Sozialdienst katholischer Frauen
(SkF) haben im Rahmen des Projekts „Aufwind“ deshalb zum zweiten
Mal einen Fachtag durchgeführt. 55 Fachleute aus verschiedenen Berei-
chen des Hilfesystems kamen am 14. September ins Ons Zentrum.
Hauptreferent war Prof. Dr. Albert Lenz vom Institut für Gesundheits-
forschung und Soziale Psychiatrie an der Katholischen Hochschule NRW
in Paderborn. Er begleitet „Aufwind“ seit dem Beginn vor sechs Jahren
sehr intensiv und gilt als einer der anerkanntesten Fachleute, wenn es
um Familien mit psychisch kranken Eltern(teilen) geht. Lenz wies da-
rauf hin, dass es in der Arbeit mit betroffenen Familien vor allem darum
geht, vorhandene Ressourcen der Kinder und
Eltern zu nutzen und zu unterstützen. Seine Kern-
botschaft: „Kein Mensch hat keine Ressourcen. Es
dauert nur manchmal, sie freizulegen.“
Lenz betonte, es sei wichtig, eine Balance zu
finden zwischen Risikofaktoren, die sich ja nicht
einfach ausblenden lassen, und Schutzfaktoren,
die es zu stärken gilt.
Risikofaktoren seien zum
Beispiel Tabuisierung, Trennung, Armut, Gewalt
und natürlich die psychische Erkrankung selbst.
Dem stehen Schutzfaktoren gegenüber wie eine sta-
bile Beziehung, Hobbys und Interessen, ein soziales Netzwerk oder gute Ver-
arbeitungsstrategien. Wenn es gelinge, die Schutzfaktoren zu aktivieren, sei
das Risiko erheblich geringer, dass die psychische Erkrankung sich bei den Be-
troffenen verschlimmert und bei den Kindern womöglich zu Spätfolgen führt.
Als wichtigsten Schutzfaktor nannte Prof. Lenz die Fähigkeit zur Mentali-
sierung. Gemeint ist damit die Fähigkeit, sich in jemand anderen hineinzu-
versetzen, seine Perspektive einzunehmen und so zu sehen, wie er ist – und sich
dabei zugleich selbst in den eigenen Gedanken, Gefühlen, Absichten, Überzeu-
gungen wahrzunehmen. Die Entwicklung dieser Fähigkeit kann in Beratungs-,
Gruppen und Therapieangeboten gefördert werden.
Die Rückmeldungen der Teilnehmer des Fachtags waren durchweg
positiv.
Workshops und die Arbeit in Kleingruppen boten vielfältige Mög-
lichkeiten, Einzelaspekte des Themas zu vertiefen. „Bereichernd und anre-
gend“ sei der Fachtag gewesen, so das Fazit eines Teilnehmers.
regelmäßig Zeit mit „seinem“ Kind ver-
bringt. Dabei geht es ausdrücklich nicht um
Hausaufgabenhilfe oder um häusliche Un-
terstützung, sondern um gemeinsame Ak-
tivitäten, zum Beispiel Besuche im
Schwimmbad, im Zoo, im Kino oder in der
Eisdiele.
Je nach familiärer Situation und den
Bedürfnissen der erkrankten Eltern und
ihrer Kinder „können wir eine passge-
naue Hilfekonstellation aufbauen“, be-
tont Micheline Müller.
„Aufwind“ geht nun ins siebte Jahr. Das
Angebot steht an der Schwelle vom Pro-
jektstatus zur Verstetigung. Auch dank der
erfolgreichen Arbeit von Caritas und SkF
ist das Thema stärker in die Öffentlichkeit
gerückt. Kitas, Schulen, Jugend-
ämter, Ärzte sind dank in-
tensiver Vernetzung sen-
sibilisiert. „Es wird all-
gemein besser hinge-
schaut“, sagt Micheline
Müller.
Etwa 65 Familien pro
Jahr werden im Rahmen des Pro-
jektes betreut. Vielen Kindern – und ihren
Eltern – geht es seither besser. „Aufwind
ist ein Markenname geworden“, resümiert
Dorothea Brilmayer.
Schwerpunkt
Aufwind
Fachtag in Neuss
Jeder Mensch hat Ressourcen
Beratung und Koordination
Caritasverband Rhein-Kreis Neuss e.V.
Erziehungs- und Familienberatungsstelle
„balance“
Micheline Müller
Tel.: 02131/36928-30
Gruppenangebote
Caritas Sozialdienste Rhein-Kreis Neuss GmbH
Kids im Zentrum
Susanne Ricken
Tel.: 02131/889-157
Patenvermittlung
SkF – Sozialdienst katholischer Frauen
Sabrina Leuchtenberg
Tel. 0163/7560619
caritas
aktuell
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Foto: Peter Wirtz, Dormagen
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