caritas aktuell - Ausgabe 01/2016 - page 3

caritas
aktuell
1/ 2016
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Flüchtlinge
mit einem
Aufenthaltstitel
leben. Auch sie
drängen auf den ohnehin
knappen Sozialwohnungsmarkt.
Fehlender
Wohnraum bei einer rasant wachsenden
Zahl von Einzelfällen – das ist die Ge-
mengelage für die im Jahr 2013 gestar-
tete Caritas-Wohnungsnothilfe in Meer-
busch, berichtet Jürgen Maukel, Leiter
der Caritas-Wohnungslosen- und Ge-
fährdetenhilfe.
Dabei ist das Engagement
der Stadt Meerbusch, die die Wohnungs-
nothilfe mit finanziert, durchaus sehr lo-
benswert, in anderen Städten gibt es et-
was Vergleichbares nicht.
Giasemina Müller werden pro
Woche etwa zehn Flüchtlinge zu-
gewiesen. Sie sollen nach ihrer
Anerkennung möglichst schnell
aus den Übergangsunterkünften
heraus, um dort Platz für neue
Flüchtlinge zu schaffen. Das
kommt noch zum ursprüngli-
chen Kerngeschäft hinzu. Dazu
gehört – wie im Fall von Clau-
dia Wöhrmann – die Abwen-
dung von Räumungsklagen
und generell die Beratung und
konkrete Hilfe für Menschen,
die wohnungslos oder von
Wohnungslosigkeit bedroht
sind.
Mit ihrer halben Stelle
tut die Caritas-Sozialar-
beiterin, was sie kann – doch das ist an-
gesichts der wachsenden Not und Zahl
der Hilfesuchenden immer öfter nicht
genug.
Giasemina Müller beobachtet den
Wohnungsmarkt, stellt für Klienten den
Kontakt zu Vermietern her. Für eine Woh-
nung, die in die finanziellen Möglichkeiten
sozial schwächerer Menschen passt, gibt es
oft Dutzende Bewerber. Abhilfe für eine
Entspannung auf dem Wohnungsmarkt ist
vorerst nicht in Sicht.
Aufgrund der wachsenden Zahl an Hilfe-
suchenden spricht die Caritas derzeit mit
der Stadt Meerbusch über eine personelle
Aufstockung.
Wohnungsnothilfe Meerbusch
Giasemina Müller Baliktsi
Tel. 0151/14555155
Schwerpunkt
Wohnungsnot
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum für sozial
Schwächere im Rhein-Kreis wird zunehmend dramatisch
Die Situation spitzt sich zu: Die Zahl
der Menschen, die auf staatliche Hil-
feleistungen angewiesen sind, steigt ste-
tig, während bezahlbarer Wohnraum
für diese Klientel immer knapper wird.
Ein Beispiel: Vor zwei Jahren wurden in
Neuss-Weckhoven vier alte Wohnblöcke
aus den 1960er Jahren abgerissen, umPlatz
für ein neues Stadtquartier zu schaffen.
Städtebaulich war das angesichts der nicht
besonders ansehnlichenWohntürme nach-
vollziehbar. Sozialpolitisch war es ein Sün-
denfall. Denn damit fielen auf einen Schlag
145Wohnungen, die für sozial schwächere
Menschen erschwinglich waren, der Ab-
rissbirne zum Opfer.
Doch nicht nur der quantitative Schwund
an bezahlbaremWohnraum erfüllt die Mit-
arbeiter von Caritas-Beratungseinrichtun-
gen für Personen in besonderen sozialen
Schwierigkeiten mit großer Sorge. Denn
für ihre Klientel – Menschen, die woh-
nungslos oder von Wohnungslosigkeit
bedroht sind – wird es immer schwieriger,
eine Wohnung zu finden oder zu halten.
Das liegt vor allem an den Mietobergren-
zen, die das Jobcenter im Rahmen desAr-
beitslosengeldes II für Mieten zahlt. Diese
orientieren sich zwangsläufig an denAn-
gemessenheitsgrenzen, die der Rhein-Kreis
Neuss vorgibt. In Neuss etwa liegt diese
Obergrenze für eine Ein-Personen-Woh-
nung bei 391,50 Euro Bruttokaltmiete
(Nettokaltmiete plus Betriebskosten ohne
Heizung und Strom). Alle Wohnungen
oberhalb dieser Grenze kommen für
Langzeitarbeitslose, deren Unterhalt von
Jobcenter finanziert wird, nicht in Frage.
Dieses Problem kann sich auch für Be-
troffene auftun, die bereits eine Wohnung
haben: Liegt die Miete oberhalb der An-
gemessenheitsgrenze – etwa weil der Be-
troffene durchArbeitslosigkeit gerade neu
in den Transferleistungsbezug gekommen
ist – bekommt er meist vom Jobcenter die
Aufforderung, sich günstigeren Wohn-
raum zu suchen. Diese Menschen drän-
gen dann zusätzlich in einen ohnehin
schrumpfenden Wohnungsmarkt.
Ein weiteres Handicap für sozial Schwä-
chere: Die Anmietung der wenigen noch
vorhandenen Wohnungen in diesem Seg-
ment ist oft nicht machbar, weil langjähri-
geArbeitslosigkeit zu Überschuldung und
damit zu einemSchufa-Eintrag geführt hat.
Da Vermieter heute sehr häufig eine Schu-
fa-Auskunft verlangen, kann die Negativ-
auskunft das K.O.-Kriterium sein. Denn
immer öfter lehnen es Vermieter – auch
große Wohnungsbauunternehmen – ab,
Mietverträge mit Menschen abzuschließen,
die einen solchen Schufa-Eintrag haben.
Auf die Gesamtproblematik hat Cari-
tasdirektor Norbert Kallen kürzlich in
einem Brief an Kreisdirektor Dirk
Brügge hingewiesen. Kurzfristige Ab-
hilfe scheint indes nicht in Sicht. Der
Bedarf an sozialem Wohnraum ist in
der Politik zwar erkannt, aber schwer
realisierbar, weil die öffentlichen Kas-
sen klamm sind und sich Investoren zu-
letzt verstärkt auf den attraktiveren frei-
enWohnungsmarkt konzentriert haben.
Derweil verstärkt sich durch den Zu-
strom an Flüchtlingen der Druck auf den
Markt. Die Caritas-Beratungseinrichtun-
gen, wie die Wohnungsnothilfe in Meer-
busch, haben Hochkonjunktur. „Die Zahl
der Räumungsklagen und damit an Klien-
ten explodiert geradezu“, sagt Jürgen
Maukel, Fachbereichsleiter Wohnungslo-
sen- und Gefährdetenhilfe.
Als kurzfristige Maßnahme fordert Kal-
len, die Angemessenheitsgrenzen mieter-
freundlicher zu gestalten und anzuwen-
den. „Die Systeme müssen so angepasst
werden, dass Menschen, die nicht so viel
Geld im Portemonnaie haben, bezahlba-
ren Wohnraum finden. Das ist die vor-
rangigste Aufgabe der Politik.“
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