caritas aktuell - Ausgabe 01/2017 - page 14

caritas
aktuell
1/ 2017
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Jamal (Name geändert)
wollte kein Selbstmordatten-
täter werden. Deshalb floh er
ausAfghanistan. 16 Jahre war
er damals alt – und damit ein
Kandidat für die Taliban, die
ihn aggressiv umwarben. Nur,
wenn er sich ihnen anschlös-
se, dürfe er weiter zur Schule
gehen, sagten sie ihm.
Auch
seine weitgehend mittellosen
Eltern konnten ihn nicht mehr
vor dem Einfluss der Taliban
schützen. Darum hat sich Jamal
auf den Weg nach Deutschland
gemacht.
Gelandet ist er schließlich in
Dormagen in der JUMA, die
„Jugendhilfeeinrichtung für un-
begleitete minderjährige Aus-
länder“. Die Stadt hat dafür ein
früheres Hotel zu einemWohn-
heim umgebaut. Für mehr als
20 junge Menschen, die sich
aus unterschiedlichen Ländern
und unterschiedlichsten Grün-
den ganz allein nach Deutsch-
land durchgeschlagen haben,
ist dies ein Ort, um zur Ruhe zu
kommen und neue Perspek-
tiven aufzubauen.
Das Team der Erziehungs-
und Familienberatungsstelle
Dormagen führt im Auftrag
der Stadt das „Clearing‟ für
die dort lebenden jungen
Flüchtlinge durch.
Dies ist
Teil des Aufnahme- und Asyl-
verfahrens. Jeweils zwei Mitar-
beiter aus dem Team der EFB
treffen sich insgesamt drei Mal
mit jedem Jugendlichen. Der
vierte Termin ist eine Helfer-
konferenz, an der neben den
EFB-Mitarbeitern auch die Be-
zugsperson des jungen Flücht-
lings aus dem JUMA sowie
Vertreter des Jugendamts teil-
nehmen. Hier werden die Er-
gebnisse erörtert und weitere
Schritte beraten.
Es geht imClearing um eine
Bestandsaufnahme: Wie geht
es dem jungen Flüchtling?
Warum ist er geflohen? Was
hat er auf der Flucht erlebt?
Ist er traumatisiert? Welche
Unterstützung braucht er?
Welche Wohnform ist geeig-
net? Wie ist sein Bildungs-
Wenn Kinder Flüchtlinge werden
erklärt Annette Droste (EFB).
Die Jugendlichen sollen erst
einmal zur Ruhe kommen. Denn
viele brauchen Zeit, um das zu
verarbeiten, was sie in der Hei-
mat oder auf der Flucht erlebt
oder erlitten haben. Das ist auch
für die professionellen Fach-
kräfte der EFB oft schwer zu
ertragen. Da ist der Junge aus
dem von Bürgerkriegswirren
geplagten Somalia, der jeden
Tag fünf Kilometer zur Schule
ging und sich jeden Morgen so
von der Mutter verabschiedete,
als sei es das letzte Mal. Denn es
ist in Somalia nicht selbstver-
ständlich, den Weg zur Schule
zu überleben. Dieser junge So-
mali verlor bei der Flucht sei-
nen Vater und seinen Bruder,
die im Mittelmeer ertranken.
„Wir gehen zu zweit in die
Clearing-Gespräche, um an-
schließend die Möglichkeit zu
haben, das Gehörte untereinan-
der reflektieren und verarbeiten
zu können“, so Annette Droste.
Am Ende des Clearingver-
fahrens steht der abschließende
Clearingbericht, der zuerst mit
dem jeweiligen Jugendlichen
besprochen und anschließend
ans Jugendamt weitergeleitet
wird. Der Clearingbericht ar-
beitet Perspektiven heraus, die
als Leitlinie im Integrations-
prozess dienen können, erläu-
tert EFB-Leiter Frank Pütsch.
Manchmal ergeben sich aus
dem Clearing auch echte
Mutmach-Geschichten.
So wie
die von Sunjay (Name geän-
dert) aus Bangladesch. Seine
niveau? Welche berufliche
Perspektive ist realistisch?
Bei
jedem Gespräch ist ein Dolmet-
scher dabei, damit die Jugend-
lichen, die ihr Zuhause, ihre
Kultur und Sprache verlassen
haben, sich in ihrer Mutterspra-
che verständigen können.
In der Regel beginnt die
Clearingphase im zweiten oder
dritten Monat des Aufenthalts,
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