caritas aktuell - Ausgabe 01/2017 - page 10

caritas
aktuell
1/ 2017
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„Wir machen
das Angebot,
nicht den
Plan“
In den Beratungsgesprächen mit Andrea
Groß-Reuter macht er eine Bestandsauf-
nahme. Die Beratungsphase ist der eigent-
lichen Therapie vorgeschaltet. „Es geht
darum, dass wir die Menschen kennenler-
nen und sie unser Angebot. Nur so lässt
sich feststellen, wo die Probleme liegen
und wie sie in der Therapie am besten be-
arbeitet werden können“, erklärt die Leite-
rin für Beratung und Rehabilitation der
Caritas-Fachambulanz. Nach der Bera-
tungsphase, die bis zu einem halben Jahr
dauern kann, folgt die eigentliche Ambu-
lante Rehabilitation, die sich aus thera-
peutischen Einzel- und Gruppengesprächen
zusammensetzt – je einmal pro Woche.
Voraussetzung für die Teilnahme an der
Ambulanten Reha ist Abstinenz. Sie zu
sichern und zu stabilisieren, ist das Ziel der
Maßnahme. Mit professioneller Hilfe
des Teams der Fachambulanz, das aus
zehn therapeutischen Mitarbeitern (So-
zialarbeitern, -pädagogen und Psycho-
logen) und einem Facharzt für Psychia-
trie und Psychotherapie besteht, gehen
die Teilnehmer den Ursachen und Hin-
tergründen ihrer Sucht auf den Grund.
Das können familiäre Konflikte sein, beruf-
liche Schwierigkeiten oder auch psychische
Begleiterkrankungen wie Depressionen,
Zwänge oder eine Angststörung. Dafür ste-
hen den erfahrenen Caritas-Fachkräften,
die eng mit Ärzten zusammenarbeiten (mit
dem St. Alexius- St. Josefs-Krankenhaus
in Neuss besteht eine Kooperation) ver-
schiedene Diagnose-Instrumente und thera-
peutische Verfahren zur Verfügung.
Als Korrektiv und Gemeinschaftserleben
von Gleichgesinnten ist die meist zehn- bis
zwölfköpfige therapeutische Gruppe be-
sonders wichtig. Frei wählbare Seminaran-
gebote zu Themen wie Selbstwert, Glück,
Emotionsregulation, Bewegung und Ent-
spannung, Familie oder Rückfallprophyla-
xe ergänzen das Therapieprogramm. Jeder
Teilnehmer lernt, einen fiktiven „Notfall-
koffer“ zu packen. Darin sind Dinge, die
bei Rückfallgefahr helfen: Dem einen hilft
eine ausgedehnte Joggingrunde, der andere
sucht das Gespräch mit einem eingeweih-
ten guten Freund. Ein weiterer Vorteil der
ambulanten Rehabilitation ist die direkte
Einbindung der Angehörigen in Form von
Seminaren, Paar- und Familiengesprächen,
da häufig auch das Familienleben durch
die Suchterkrankung belastet ist. Das Be-
rufs- und Familienleben kann während der
Ambulanten Reha weiter laufen wie zuvor.
„Eine Sucht verläuft oft schleichend
und imVerborgenen, weil der Betroffene
noch recht lange versucht zu funktionie-
ren. Aber irgendwann klappt das Arran-
gement zwischen Leben und Suchtmit-
Dass er ein Alkoholproblem hat, wur-
de Jürgen Gather (Name geändert) erst
klar, als er bei einer Polizeikontrolle ins
Röhrchen blasen musste: 1,6 Promille.
Zwei gut gefüllte Gläser Wein beim Ar-
beitsessen und noch einen „Absacker“ hin-
terher – nicht zu vergessen diverse Feier-
abendbier vom Vorabend. Den Termin, zu
dem Gather unterwegs war, musste er ab-
sagen. Die Polizei zog ihn aus dem Ver-
kehr. Entzug des Führerscheins, Punkte in
Flensburg und ein Bußgeld waren die Quit-
tung für die fröhliche Mittagspause. Und
als i-Tüpfelchen wurde der Sünder noch zu
einer medizinisch-psychologischen Unter-
suchung (MPU) verdonnert. Denn Gather
ist Wiederholungstäter. Zweieinhalb Jahre
zuvor war er schon einmal erwischt wor-
den – damals mit 0,6 Promille.
Einige Wochen später sitzt er im Büro
von Andrea Groß-Reuter in der Caritas
Fachambulanz für Suchtkranke. Gather
hat sich für eine Ambulante Reha ange-
meldet. Er wird dort einiges über sich
lernen. Zum Beispiel, dass Alkohol für
ihn kein Genussmittel, sondern ein Ven-
til war.
Er half ihm, mit dem beruflichen Druck
umzugehen. Sich sicherer zu fühlen. Gather
hatte nie das Gefühl, abhängig zu sein,
aber er trank jeden Tag Alkohol – wenn
auch nicht in extremen Mengen.
Gemeinsam den Weg aus der Sucht finden: Der Rückhalt
und die Dynamik der Gruppe spielen in einer Ambulanten
Rehabilitationsmaßnahme eine entscheidende Rolle.
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