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Sonderausgabe
Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz
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„Von meinem Lohn allein könnte ich nicht leben”
Karin Breyer (38) aus Köln-Neubrück,
alleinerziehende Mutter einer Tochter (4)
N
ach sechs Jahren Neuseeland kam ich im Februar
2011 zurück nach Köln – schwanger und allei-
ne. Erst im Juni, drei Tage vor der Geburt meiner
Tochter, fand ich eine eigene Wohnung. Bis dahin war
‚Couchsurfing‘ angesagt – bei Freunden.
Die ersten drei Jahre habe ich mit meiner Tochter ver-
bracht. Ich bin gelernte Tischlerin. Das Problem ist, dass
es so gut wie keine Teilzeitstellen für Tischler gibt – ich
meldete mich also arbeitslos. Erst als meine Tochter mit
drei Jahren in den Kindergarten ging, konnte ich an einer
Arbeitsmaßnahme des Jobcenters für alleinerziehende
Väter und Mütter teilnehmen. Seit April 2015 arbeite ich
25 Stunden in der Woche in einer Druckerei.
Das Jobcenter stockt mein Gehalt auf, denn von
meinem Lohn allein könnte ich nicht leben. Und eine
Vollzeit-Stelle ist wegen meiner Tochter nicht drin.
Ich komme gut über die Runden und bin dankbar, dass mir
der Staat hilft. Natürlich ist der Hartz-IV-Regelsatz kein Vermö-
gen; ich kann zum Beispiel nichts ansparen und es fällt schwer,
mir neue Möbel oder die teureren Bio-Lebensmittel zu leisten,
die mir eigentlich wichtig sind. Trotzdem bin ich zufrieden, es
ging immer irgendwie. Wäre ich in Neuseeland geblieben, wäre
es mir nicht so gut ergangen. Dort hätte ich nach spätestens
einem halben Jahr Babypause wieder arbeiten gehen müssen,
um zu überleben.
Was mir fehlt, sind soziale Kontakte. Ich habe keine nahe Ver-
wandtschaft in der Umgebung und der Freundeskreis bildet sich
gerade erst neu um das Kind herum. Ich fühle mich manchmal
,alleine alleinerziehend‘. Geht das anderen auch so? Ich würde mir
wünschen, dass der Staat mehr darauf achtet, ob seine Bürger ver-
einsamen oder verzweifeln. Denn ich habe den Eindruck, dass der
Begriff Sozialleistungen mehr als nur das Finanzielle beinhalten
sollte.“
„Ich möchte wieder eine echte Chance
auf dem Arbeitsmarkt haben”
Karlheinz Hahne (54) aus Köln-Deutz,
alleinerziehender Vater eines Sohnes (14)
N
ach der Geburt unseres Sohnes erkrankte meine Frau
schwer. Ich habe sie bis zu ihrem Tod 2010 gepflegt,
mich um das Kind gekümmert und musste deshalb mei-
nen Job an den Nagel hängen. Ich bin gelernter Kfz-Mechaniker
und habe zuletzt als Filialleiter in einem Unternehmen für Auto-
teile gearbeitet. Deshalb höre ich vom Jobcenter häufig, ich sei
überqualifiziert.
Seit 14 Jahren lebe ich jetzt von Sozialhilfe und Hartz IV. Das
Ärgerliche ist, dass mich das Jobcenter immer wieder in teure
Weiterbildungsmaßnahmen schickt, die mir nicht weiterhelfen.
Weigere ich mich, droht man mir damit, den Regelsatz zu
kürzen. So musste ich zweimal das Seminar zur Erfassung
von Fähigkeiten und Potenzialen machen und unzählige
Bewerbungstrainings. Aber ich erwarte, dass ich so quali-
fiziert werde, dass ich wieder eine echte Chance auf dem
regulären Arbeitsmarkt habe.
Seit Dezember 2013 habe ich einen 400-Euro-Job als
Hausmeister, damit bin ich glücklich, aber finanziell hilft
er mir kaum: Nur 160 Euro darf ich behalten, der Rest
wird auf den Hartz-IV-Regelsatz von 345 Euro angerech-
net. Auch das Kindergeld wird ja nicht obendrauf gezahlt,
sondern mit Hartz IV verrechnet – faktisch bekomme ich
also kein Kindergeld. Anfangs sollte ich aus meiner Woh-
nung raus, dann haben die beim Jobcenter aber begriffen,
dass das vor allem für meinen Sohn schlimm gewesen
wäre. Er hätte dann nicht nur seine Mutter, sondern auch
sein soziales Umfeld verloren.
Was ich mir wünsche? Dass mein 400-Euro-Job in eine
reguläre Teilzeittätigkeit umgewandelt wird.“
BETROFFENENBERICHTE
Jo Schwartz
Annette Etges
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