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Sonderausgabe
Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz
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OECD nachweisen. So bewegt sich in Deutschland im Fall
eines alleinerziehenden Elternteils mit zwei Kindern und
einem Verdienst von 67 Prozent des Durchschnittsein-
kommens die Gesamtabgabenbelastung aus Steuern und
Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung abzüglich
der familienpolitischen Leistungen 2012 am oberen Ende
der Skala: Alleinerziehende in dieser Konstellation werden
in Deutschland in Höhe von 18 Prozent ihres Bruttoeinkom-
mens belastet. In Frankreich sind es 15 Prozent, in Däne-
mark, Schweden und Norwegen 11,7 Prozent und in den
Niederlanden 2,4 Prozent.
Alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerinnen
Eine besonders betroffene Gruppe von Alleinerzie-
henden sind die Elternteile, die mit ihren Kindern auf
Grundsicherungsleistungen angewiesen sind. Von allen
Alleinerziehenden-Haushalten beziehen knapp 40 Prozent
Hartz IV. Von diesen wiederum erhalten 30 Prozent auf­
stockende Leistungen, sie sind also grundsätzlich erwerbs-
tätig, verdienen aber zu wenig, um davon leben zu können.
Vom Jobcenter werden sie bevorzugt in Ein-Euro-Jobs oder
in geringfügige Beschäftigungen vermittelt, anstatt sie in
zukunftsträchtigen Bereichen fortzubilden, die es ihnen
langfristig ermöglichen, sich und ihre Kinder zu versorgen.
Leider bleiben Alleinerziehende mit ihren Kindern beson-
ders lang im Sozialleistungsbezug. Es würde ihnen leichter
fallen, diesen zu verlassen, wenn die eingangs geschilderten
Bedingungen verbessert würden: Wenn Väter einen Kin-
desunterhalt in existenzsichernder Höhe zahlten oder wenn
zumindest der staatliche Unterhaltsvorschuss unbegrenzt in
dieser Höhe geleistet würde. Auch könnte die Erhöhung des
Freibetrages für Alleinerziehende dazu führen, dass diese
mehr von ihrem selbst verdienten Einkommen behalten und
ihre Kinder besser versorgen könnten.
Eklatant ist, dass die Kombination der Sozialleistungen,
die helfen sollen, den SGB-II-Bezug zu verlassen, im Fall
von Alleinerziehenden ins Leere zielen. Wegen der Anrech-
nung von Unterhalt oder Unterhaltsvorschuss auf den Kin-
derzuschlag und das Wohngeld müssen Alleinerziehende
sehr viel mehr Erwerbseinkommen erwirtschaften als Sin-
gles oder Familien, um den Hartz-IV-Bezug zu verlassen.
Hinzu kommt, dass der Kinderzuschlag, das Wohngeld, der
Unterhaltsvorschuss sowie die Leistungen für Bildung und
Teilhabe bei verschiedenen Stellen beantragt werden müssen
und dort jeweils unterschiedliche Anrechnungsregelungen,
Mitwirkungspflichten und Bewilligungszeiträume gelten
– all dies muss neben der Erziehung der Kinder und einer
Erwerbstätigkeit geleistet werden. Es erscheint dringend
erforderlich, dass zumindest im Fall der Alleinerziehenden
diese verschiedenen Sozialleistungen zusammengefasst und
von einer einzigen Behörde administriert werden. Dabei
sollte der Mehrbedarf für Alleinerziehende aus dem SGB II
auch beim Bezug von Kinderzuschlag ausgezahlt werden,
um die besonderen Belastungen des Alleinerziehens gerade
in prekären Einkommenslagen zu berücksichtigen.
Für besserverdienende Alleinerziehende sollte der steu-
erliche Entlastungsbetrag spürbar erhöht werden. Zuletzt
ist das Familienministerium in der Pflicht, die Ursachen
für die massenhafte Verletzung der Unterhaltspflichten zu
ergründen. Sollten dabei die unzureichenden Einkommen
der Unterhaltspflichtigen durch Zunahme des Niedriglohn-
sektors der Hauptgrund sein, so muss der Unterhaltsvor-
schuss unbegrenzt gezahlt werden. Stünde hauptsächlich
der Unwillen der Unterhaltspflichtigen im Vordergrund,
müsste mehr Nachdruck auf die staatliche Verfolgung der
Unterhaltsschuldner gelegt werden.
Lecker aber einseitig: Für Alleinerziehende ist gutes Essen häufig unbezahlbar
Barbara Bechtloff
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