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Sonderausgabe
Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz
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Armut hemmt
die Entwicklung
von Kindern
Immer mehr Kinder in Deutschland
wachsen laut einer Studie in prekären
Verhältnissen auf. Staatliche Hilfen haben
oft nicht den gewünschten Effekt
K
inderarmut nimmt in Deutschland immer grö-
ßere Ausmaße an. Das ist das Ergebnis einer
Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (IAB) im Auftrag der Ber-
telsmann-Stiftung. Jedes fünfte Kind unter drei
Jahren ist demnach arm. Armut ist dabei nicht immer nur
eine Frage der materiellen Grundversorgung mit Lebens-
mitteln und Wohnraum. Armut hat vielmehr grundlegende
negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Sprach-,
Seh- und Hörvermögens, des Zahlenverständnisses und
sozialer Fähigkeiten von Kindern.
Besonders erschreckend: Für die Mehrheit der armen
sechsjährigen Kinder ist der Hartz-IV-Bezug ein Dauerzu-
stand. Diese Kinder – so das Ergebnis der Studie – brau-
chen am meisten Unterstützung. Arme Kinder sind bei der
Einschulung häufiger auffällig in ihrer Körperkoordination,
können sich schlechter konzentrieren, sprechen schlechter
die deutsche Sprache und können schlechter zählen als Kin-
der, die keine Leistungen nach dem SGB II beziehen. Die
Analysen haben gezeigt, dass Armut, unabhängig von der
elterlichen Bildung, ein Risiko für die Entwicklung von Kin-
dern ist.
Grundlagen für die Studie waren die Ergebnisse aus
den Schuleingangsuntersuchungen von 2010 bis 2013 in
Mülheim an der Ruhr. Sie beziehen sich auf die Daten von
4 802 Kindern. Die Auswertungen zeigen eindrücklich auf,
dass sofortiger Handlungsbedarf besteht, was die Unter-
stützung von Familien mit geringem Einkommen und der
qualitativen Ausstattung von Kitas angeht. Arme Kinder
haben häufig eben nicht die Möglichkeiten einer kind- und
altersgerechten Entwicklung. Ihnen fehlen die Zugänge zu
Sport- und Musikvereinen oder Aktivitäten wie Zoo- oder
Schwimmbadbesuch.
Doch die Ergebnisse der Studie zeigen auch, dass ein frü-
her Kitabesuch nicht automatisch für eine verbesserte Ent-
wicklung von Kindern hilfreich ist. Liegt die Kita in einem
Gebiet mit hoher Armutskonzentration, so findet sich in ihr
eine große homogene Gruppe von Kindern mit ähnlichen
Erfahrungen und Kompetenzen wieder. Positive Effekte tre-
ten erst in sozial gemischten Kita-Gruppen auf. Von daher
ist es notwendig, Kitas in sozial benachteiligtem Umfeld
personell und finanziell besser auszustatten und über die
dadurch möglichen individuellen Angebote zur gezielten
Entwicklung und Förderung eines Kindes beizutragen.
Die Studie empfiehlt einen frühen Kitabesuch und sport-
liche Aktivitäten. Hier böten insbesondere der U3-Ausbau
und das Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) gute Chancen,
die Entwicklung armer Kinder positiv zu beeinflussen. Bei
der Nutzung von Mitteln des BuT für die kulturelle, sport-
liche oder musische Teilhabe bestehen deutliche Lücken.
Um diese Mittel nicht ungenutzt zu lassen, sollten verstärkt
Kitas, Schulen, Eltern und Sozialagenturen vernetzt werden.
Die Nationale Armutskonferenz teilt die Bewertung der
Stiftung hinsichtlich der besseren personellen und finan-
ziellen Ausstattung der Kitas, fordert darüber hinaus aber
auch eine auskömmliche, bedarfsgerechte und eigenständige
Kindergrundsicherung – damit arme Kinder nicht arme
Eltern werden.
Für die Mehrheit der armen sechsjährigen Kinder ist Hartz IV ein Dauerzustand
Jo Schwartz
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