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Sonderausgabe
Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz
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Wohnen ist einMenschenrecht
Die Zahl der Wohnungslosen steigt. Mitverantwortlich ist auch die Hartz-IV-Gesetzgebung
I
m Jahr 2014 waren 335 000 Menschen in Deutschland
ohne Wohnung. Dies ist im Vergleich zum Jahr 2012
ein Anstieg um knapp 18 Prozent. Bis 2016 prognos-
tiziert die BAG Wohnungslosenhilfe (BAG W) eine
Zunahme der Wohnungslosigkeit auf über 400 000
Menschen.
Einem unzureichenden Angebot an preiswertem Wohn-
raum steht die zunehmende Zahl von Menschen mit Nied-
rigsteinkommen und unsicheren Beschäftigungsverhältnis-
sen gegenüber. So verschärft sich die Konkurrenz auf den
Wohnungsmärkten: Neben den wohnungslosen Menschen
suchen auch Alleinerziehende, Studierende und andere ein-
kommensarme Menschen nach bezahlbarem Wohnraum.
Dazu kommen die sozialen Träger, die für ihre Klienten
Wohnungen brauchen: etwa die Wohnungslosenhilfe, die
Gemeindepsychiatrie, die Suchtkranken- und Straffälligen-
hilfe und die Jugendhilfe.
Verstärkte Zuwanderung macht
weitere Hilfen notwendig
Eine zunehmende Zahl von Flüchtlingen und Migranten
sucht Schutz, Arbeit und Auskommen in Deutschland. Ein
großer Teil dieser Menschen wird nur unzureichend in
Sammelunterkünften versorgt oder lebt unter widrigsten
Umständen in Armut und unzumutbaren Wohn- und
Arbeitsverhältnissen. Auch diese Menschen sind auf den in
vielen Regionen Deutschlands knappen bezahlbaren Wohn-
raum angewiesen. In den niedrigschwelligen Angeboten der
Wohnungslosenhilfe steigt seit Jahren der Anteil der Men-
schen mit Migrationshintergrund.
Bezahlbaren Wohnraum erhalten,
Wohnungsverluste verhindern
„Der Bund muss nicht nur die Förderung des sozialen
Wohnungsbaus fortführen, sondern mit zusätzlichen För-
derprogrammen auch den Neubau von Sozialwohnungen
in Regionen mit besonderer Wohnungsnot“, sagt Were-
na Rosenke, stellvertretende Geschäftsführerin der BAG
Wohnungslosenhilfe und Vize-Sprecherin der Nationalen
Armutskonferenz. Notwendig seien auch Förderprogramme,
um die Folgen der energetischen Sanierung für einkom-
mensarme Mieter aufzufangen. Rosenke: „Als Sofortmaß-
nahme muss das SGB II geändert werden, um eine Miet-
schuldenübernahme auch als Beihilfe zu ermöglichen, wenn
dadurch der Wohnungsverlust verhindert wird.“
Unter den wohnungslosen Menschen gibt es eine hohe
Zahl sehr junger Männer und Frauen. Mitverantwortlich
dafür macht Rosenke die Hartz-IV-Gesetzgebung: „Für
Unter-25-Jährige gelten verschärfte Sanktionsregelungen,
bei denen dann schon beim zweiten kleinen Regelverstoß
die Kosten der Unterkunft nicht mehr gezahlt werden.“
Häufig werden Betroffene aufgefordert, ihre Wohnkosten
binnen sechs Monaten zu senken. Andernfalls müssen die
Mietanteile aus den eigenen Regelleistungen aufgebracht
werden. Oder die Übernahme der Nebenkosten wird ein-
geschränkt. Rosenke: „Die Menschen verschulden sich und
am Ende kann man die Miete nicht mehr zahlen und steht
womöglich auf der Straße.“
Menschenwürdige Notversorgung sicherstellen
Wohnungslose Menschen dürfen nach Ansicht Rosenkes
„nicht in elenden Notunterkünften ausgegrenzt und dort ver-
gessen werden. Die Notversorgung muss mit dem Ziel einer
zeitnahen Vermittlung in eigenen Wohnraum oder – wenn
nötig – in qualifizierte weiterführende Hilfen erfolgen“. Das
Grundgesetz garantiert jedem Menschen, unabhängig von
der Nationalität, das Grundrecht auf Menschenwürde, Leben,
körperliche Gesundheit und Schutz der Familie. Deswegen
muss auch den wohnungslosen Migrantinnen und Migranten
ein uneingeschränkter Zugang zu Angeboten der Notversor-
gung ermöglicht werden. Rosenke: „Aber die Kommunen
kann man mit diesen Aufgaben nicht alleine lassen. Deshalb
ist die Bundesregierung gefordert, die kommunale Notver-
sorgung deutlich stärker mitzufinanzieren.“
 INFO 
Wohnungsloser in Köln.
Ziel des SGB II muss es
sein, Wohnungsverlust
zu verhindern
Werena Rosenke,
stellvertretende
Geschäftsführerin der
BAG Wohnungslosen-
hilfe und Vize-Spre-
cherin der Nationalen
Armutskonferenz
BAGW
Barbara Bechtloff
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