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Sonderausgabe
Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz
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„DieSozialleistungen laufen ins Leere“
40 Prozent aller Alleinerziehenden leben von Hartz IV
Von Prof. Dr. Anne Lenze
A
lleinerziehende und ihre Kinder sind die
einzige Familienform in Deutschland, die
Zuwachsraten verzeichnet. 2014 gab es ins-
gesamt rund 8,06 Millionen Familien mit
minderjährigen Kindern, darunter 1,6 Milli-
onen Ein-Eltern-Familien. 2,3 Millionen Kinder lebten bei
lleinerziehenden. 90 Prozent aller Alleinerziehenden sind
Frauen.
Alle Untersuchungen zeigen, dass das Armutsrisiko
Alleinerziehender in den letzten Jahren angestiegen ist,
und dies, obwohl alleinerziehende Elternteile immer häu-
figer erwerbstätig sind. 2011 waren 43 Prozent der Allein-
erziehenden armutsgefährdet, sie hatten also weniger als
60 Prozent des Median-Einkommens zur Verfügung. Zum
Vergleich: Bei Paaren mit zwei Kindern lag die Armuts­
risikoquote bei 10,8 Prozent.
In den letzten Jahren hat sich die materielle Situation
Alleinerziehender in drei Rechtsgebieten verschlechtert.
Nach der Reform des Unterhaltsrechts im Jahr 2008 wird
von den Müttern erwartet, wieder voll berufstätig zu sein,
wenn das jüngste Kind älter als drei Jahre ist und es ein
entsprechendes Betreuungsangebot gibt. Dadurch wurden
Väter entlastet, weil sie sich nun in der Regel nicht mehr am
Unterhalt der Mütter beteiligen müssen. Der Erwerbsdruck
auf die Alleinerziehenden ist seitdem erheblich gestiegen.
Die Erziehung müssen sie nebenbei, am Abend oder am
Wochenende, erbringen.
Neuere Daten zeigen, dass mehr als die Hälfte der unter-
haltsberechtigten Kinder keinen Bar-Unterhalt erhält. In
diesen Fällen hilft der Staat, der mit dem Unterhaltsvor-
schuss für einen begrenzten Zeitraum den Mindestunterhalt
für ein Kind zahlt, und zwar maximal für sechs Jahre und
längstens bis zu dessen 12. Lebensjahr.
Der Mindestunterhaltsbetrag wurde 2008 gekürzt, weil
seitdem das Kindergeld voll auf den Betrag angerechnet
wird. Nur die wenigsten anspruchsberechtigten Kinder aber
erhalten diese Leistung tatsächlich – häufig auch, weil Ver-
fahren und Antragsstellung kompliziert sind oder die Zeit
der Alleinerziehenden knapp ist: Von den 0- bis 6-jährigen
Kindern ohne ausreichenden Unterhalt beziehen lediglich
42 Prozent diese Leistung, bei den 6- bis 12-Jährigen sogar
nur 22 Prozent. In den Fällen, in denen grundsätzlich ein
Anspruch besteht, aber nicht geltend gemacht wird, muss
der ausbleibende Unterhalt von den Alleinerziehenden
selber ausgeglichen werden oder der Staat tritt mit SGB II-
Leistungen ein. Statistisch gelingt es den Kommunen nur
in 23 Prozent der Fälle, die gezahlten Leistungen von den
Unterhaltsverpflichteten zurückzuholen.
Eine weitere Verschlechterung der materiellen Situation
von Alleinerziehenden war bereits 2004 eingetreten, als der
steuerliche Haushaltsfreibetrag in den Entlastungsfreibetrag
für Alleinerziehende umgewandelt und um mehr als die
Hälfte gekürzt wurde. Das bedeutet, dass Alleinerziehende
gerade im niedrigen und mittleren Einkommensbereich fast
so hoch besteuert werden wie Singles.
Für den typischen Fall einer unterdurchschnittlich ver-
dienenden Alleinerziehenden, die den Eingangssteuersatz
von 14 Prozent zahlt, macht die Steuerersparnis – nach der
zwischenzeitlichen Erhöhung des Entlastungsbetrages auf
1.909 Euro – jedoch nur 267 Euro im Jahr bzw. 22 Euro im
Monat aus. Die hohe Abgabenbelastung Alleinerziehender
lässt sich in den ländervergleichenden Untersuchungen der
 INFO 
Dr. Anne Lenze
ist Professorin für
Soziale Sicherung
an der Hochschule
Darmstadt.
privat
Thomas Plaßmann
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