KOMPAKT 1/2015
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A K T U E L L E S
Keine Willkommenskultur ohne
bürgerschaftliches Engagement
ein Zwischenruf von Kai Diekelmann
wichtige Informationen rund um das
Thema Flucht und Flüchtlingsaufnahme,
ergänzt durch Best-Practise-Beispiele aus
den Kindertagesstätten und Gemeinden.
Ebenso können hier Kontaktadressen zu
Fachleuten in der Caritas-Flüchtlingsar-
beit und Fortbildungsangebote gefunden
werden.Wer eineWohnung bereitstellen
möchte, bekommt Hinweise im Rahmen
einer „Checkliste zur Überlassung von
WohnraumzurUnterbringung vonFlücht-
lingen“, und Gemeinden und Initiativen
finden hier dieAnträge auf Zuwendungen
aus demFlüchtlingsfonds des Erzbistums
Köln.
Als zentrale Rufnummer zu Fragen der
Flüchtlingshilfe imErzbistumKöln ist die
Nummer
0221 1642 1212
eingerichtet, die
Mailadresse
fluechtlingshilfe@erzbistum-
koeln.de
geschaltet worden. Die Inter-
netseite
soll in Kürze zu einem Austausch- und
Informationsportal für alle Engagierten
in der Flüchtlingshilfe imErzbistumKöln
ausgebaut werden.
K L A U S H A G E D O R N
Koordination für Flüchtlingshilfe
im Erzbistum Köln
Politik undWirtschaft haben es längst erkannt, nur
die Bevölkerung hat’s noch nicht wirklich kapiert:
Deutschland ist ein Einwanderungsland – und das
ist auch gut so. Nicht nur die Unterbringungsnöte
vieler Kommunen verstellen den Blick darauf,
dass Zuwanderung den Migranten und diesem
Land mehr Vor- als Nachteile bringt. Auch wenn
nur wenige tatsächlich Angst vor angeblicher Is-
lamisierung des Abendlandes haben, sind doch
viele noch stark geprägt vom warnenden Mantra
„Deutschland ist kein Einwanderungsland“.
Das Beschwören deutscher Willkommenskultur
soll das ändern. Und als aktuelles Übungsfeld
bieten sich die Menschen aus Syrien, Irak, Eri-
trea oder Somalia an. Bemerkenswert sind die
Unterschiede im Wording der Medien und in
der Grundhaltung der Bevölkerung gegenüber
Flüchtlingen. Von „Asylantenflut“, „Asylmiss-
brauch“ und „das Boot ist voll“ reden heute nur
noch wenige. Stattdessen überraschen wir uns
selbst mit unerwartet großer Hilfebereitschaft.
Ist Willkommenskultur schon mehr als ein gut
gemeintes Schlagwort?Wir sollten die Flüchtlinge
danach fragen. Zunächst aber auch uns selbst.
Anfragen an eine
Willkommenskultur
Ist es Willkommenskultur, wenn Menschen in
Turnhallen über Wochen Feldbett an Feldbett
schlafen müssen? Ist es Willkommenskultur,
wenn Flüchtlinge in Notunterkünften mit bis zu
800 Plätzen mittags in langen Schlangen auf ihre
Terrine Erbsensuppe warten? Ist esWillkommens-
kultur, wenn in Landesunterkünften die Erste-
Hilfe-Station kein Mittel für fieberkranke Kinder
mehr vorrätig hat? Ist es Willkommenskultur,
wenn Flüchtlingskinder bis zu einem halben
Jahr auf einen Platz in der Vorbereitungsklasse
warten, um für den normalen Schulunterricht fit
gemacht zu werden? Ist es Willkommenskultur,
wenn es einen Deutschkurs-Anspruch erst nach
Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gibt? Ist
esWillkommenskultur, wenn Asylanträge von Af-
ghanen erst einmal nicht entschieden werden,
weil andere Herkunftsländer vorrangig bearbeitet
werden? Ist esWillkommenskultur, wenn die Ehe-
frau und die Kinder eines Afghanistanflüchtlings
völlig mittellos in Pakistan ausharren und nicht
begreifen können, warum der Ehemann und Vater
sie nicht endlich nach Deutschland nachholt? Ist
es Willkommenskultur, wenn ein Flüchtling mit
heftigen Bauchschmerzen erst beim Sozialamt
einen Behandlungsschein erbetteln muss, ehe er
einen Arzt konsultieren kann? – Nun, vielleicht
ahnen einige der Hilfsbereiten, dass es mit der
Willkommenskultur eben noch nicht so weit her
ist, und sind gerade deshalb entschlossen, selbst
etwas zu tun. Das ist erfreulich und bringt zugleich
neue Herausforderungen mit sich. Sehen wir uns
das ein wenig näher an.
Flüchtlingsanerkennung oder
Aufenthaltssicherung
Je nach Herkunftsland sind die Bleibechancen
von Flüchtlingen in Deutschland höchst unter-
schiedlich. Wo die Aussicht auf Feststellung der
Flüchtlingseigenschaft groß ist (bei Syrern nahezu
in 100% der Fälle, aber auch bei Eritreern oder
Irakern mit hohen Anerkennungsquoten), ist der
Fokus schon früh auf Integration und dauerhaf-
tes Heimischwerden gerichtet. Sind die Chancen
gering (etwa bei Balkan-Flüchtlingen), stehen oft
verzweifelte Versuche der Aufenthaltssicherung
im Mittelpunkt. Während erstere Ansprüche auf
Deutsch-Förderung, SGB II oder „normalen“ Kran-
kenversicherungsschutz genießen, haben letztere
deutlich reduzierte Ansprüche. Der Schulpflicht
unterliegen alle Flüchtlingskinder unabhängig
von den Bleibeaussichten. Gleiches gilt für den
Anspruch auf einen Kindergartenplatz. Die An-
sprüche allein nützen aber wenig, wenn keine
Plätze verfügbar sind. Dann braucht es häufig
Fürsprecher, die sich im Einzelfall für Lösungen
einsetzen. Das Arbeitserlaubnisrecht ist zuletzt
liberalisiert worden. Schon nach drei Monaten
Aufenthalt kann eine Erwerbstätigkeit aufgenom-
men werden, nach 15 Monaten sogar jeder Job,
auch wenn die Besetzung mit deutschen oder
ausländischen EU-Bürgernmöglich wäre.Wer den
Lebensunterhalt selbst verdienen kann, braucht
nicht imFlüchtlingsheimzuwohnen,sondern kann
sie auf dem freien Wohnungsmarkt umsehen.
Foto: Barbara Bechtloff