KOMPAKT - Oktober 2015 - page 35

KOMPAKT 2/2015
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Streiten erlaubt
– als Christ Konflikte gestalten
Weder streitlustig noch konfliktscheu!
Seit denAnfängen lebenChristen in Span-
nungen. Das Leben ist nicht konfliktfrei
und selbst der Glaube fordert immer wie-
der zur Entscheidung, so dass nicht im-
mer Frieden entsteht, sondern sogar auch
Entzweiung. (Matth.10,34)Mitunter muss
man sich trennen. Die gottgewollte Viel-
falt,Verschiedenheit und Einzigartigkeit
der Menschen verlangt es, Konflikte so
zu steuern, dass sie zur Entwicklung aller
Beteiligten, wie auch z.B. von Organisati-
onen beitragen.Gerade in der komplexen
Beziehungswelt des Kindergartenalltags
mit den unterschiedlichen Erwartungen
und Interessen von Kindern, Eltern,Mit-
arbeitenden, der Leitung wie der Träger-
vertreter oder der jeweiligen Kommune
sind Konflikte oft unvermeidlich. Aber
Konflikte können sogar ein Segenwerden,
wenn sie nicht aggressiv mit demZiel der
Vernichtung, sondern um der Menschen
Dienlichkeit geführt werden.
So streiten schon Paulus und Petrus
heftig um die Frage nach dem richtigen
Weg der Kirche und ihrer Heidenmission.
Am Ende braucht es die Beratung aller
Apostel auf dem ersten Konzil in Jerusa-
lem. Sie erkennen, dass beide - Petrus und
Paulus - aus dem einen Geist Jesu heraus
handeln.Die Sorge umdieArmen verbin-
det die unterschiedlichen Wege.
Vielfalt ist das Markenzeichen Gottes
Bis heute gehört es zum Christsein, um
den richtigen Weg zu ringen - mit sich
selbst, in der Gemeinschaft der Kita, in
der Gesellschaft, im Beruf, in der Familie
und vor allemmit Gott.Maßgeblich ist die
Erkenntnis: Es gibt viele gute Methoden
zur Konfliktlösung, aber entscheidend ist
die christlicheGrundhaltung,die dasWohl
des Nächsten anstrebt!
Ob ein Interessenausgleich gelingt,
hängt zuerst vom Willen der Personen
ab, ob sie dem anderen Wohlwollen ent-
gegenbringen. Ob die jeweiligen eigenen
Vorstellungen von denAnderen als dien-
lich und gerecht erach-
tet werden,ja ihreGott
gegebeneWürde ernst-
nehmen und wahren.
In diesem Sinne sind
Christen vielfaltsfähig.
Vielfalt ist dasMarken-
zeichen Gottes.
Daher sind Chris-
ten nicht streitlustig,
aber eben auch nicht
konfliktscheu, wenn
es um die Zukunfts-
chancen und Lebens-
möglichkeiten jedes
Einzelnen geht, sei es am Arbeitsplatz,
in der Politik, Kirche, Familie oder im
sozialen Umfeld! Der christliche Beitrag
betrifft dann die Streitkultur.
Die Bibel – Ein Lehrbuch der Konflikte
Die Bibel ist realistisch. Sie eignet sichmit
ihren über 600 zumTeil hoch aggressiven
und gewalttägigen Konfliktgeschichten
nicht zu Idealisierung des Zusammenle-
bens. Sie erzählt offen über die Konflikte
und die Beweggründe der Beteiligten, an-
gefangen bei Adam und Eva über Kain
undAbel bis hin zumKreuzestod Jesu.Ein
Buch der Konflikte und eben auch derAg-
gression gegen denAnderen, sei es gegen
Menschenoder sogar gegenGott selbst.Sie
liest sich fast wie ein Lehrbuch vielfältiger
missglückter aber auch geglückter Formen
der Konfliktbewältigung.
Jesus macht die Mächtigen aggressiv
Die biblischen Konfliktgeschichten spie-
geln einen Lernprozess derMenschenmit
ihrerAggression vor Gott. Es scheint, als
regiert selbst in der Bibel zunächst ein
naturwüchsigerVernichtungswille,ein evo-
lutives „survival of the fittest“, das aber
schonmit demSchutzmal für Kain und der
späteren beschränktenVergeltungspraxis
des “Auge um Auge“, ein erstes Gespür
zeigt, dass die Verhältnismäßigkeit im
Konflikt zu wahren ist. Mit den zehn Ge-
boten konkretisieren sich die göttlichen
Mindestanforderungen des Zusammen-
lebens. Aus der gebotenen Gottesliebe
entwickelt sich die gottgewollte Praxis
der Nächsten- und Feindesliebe. Mit der
Person Jesu zeigt sich die ganze Radika-
lität dieser Botschaft. Sein Reich beruht
auf einer Haltung des Dienens und der
Gewaltlosigkeit.Dochkaum,dassmit Jesus
das anbrechendes Reich Gottes Gestalt
annimmt,wird deutlich,dass alle negativen
Spielarten der Aggression sich zu jeder
Zeit wiederholen können.
Schon die Geburt Jesu ist von der
furchtbarenAggression desHerodes über-
schattet,demKindermord vonBethlehem.
DerWille,Macht über andere auszuüben
oder zum Machterhalt mit allen Mitteln
zeigt,wie notwendig eine Kultivierung der
Aggression ist, um eine gottgefällige neue
Praxis desZusammenlebens zuentwickeln.
So ist es derselbe entfesselte Machtwille
einigerMachteliten, die Jesus als den Frie-
densfürst selbst zum Opfer der Aggres-
sion werden lässt. Qualvoll stirbt er am
Kreuz.Dieses Leiden des Gerechten wird
zur Mahnung und lässt bis heute Christen
gegen entfesselte Aggression aufstehen,
in der Hoffnung Konflikte zu lösen oder
Kompromisse auszuhandeln.
© JimWanderscheid in
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