KOMPAKT - Oktober 2015 - page 31

KOMPAKT 2/2015
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Aus Sicht der Bindungsforschung gilt es
als sicher, dass dieTrennung von der Mut-
ter den größten emotionalen Stressfaktor
für ein Kleinkind darstellt. Im Jahr 2008
warnte die deutsche psychoanalytische
Vereinigung vor einer zu kurzen Einge-
wöhnungszeit in den Krippen und Kin-
dertageseinrichtungen und begründetet
diesemit einer drohendenGefährdung der
psychischen Gesundheit (Memorandum
zum Krippenausbau in Deutschland).
Eine bindungsorientierte Eingewöh-
nung stellt sich demBedürfnis des Kindes
unter drei Jahren nach emotionaler Sicher-
heit und schützt vor negativen Folgen für
die weitere kognitive Entwicklung.
Das Eingewöhnungsmodell
Das Ziel der Eingewöhnung ist die si-
chere Bindung des Kindes an die päd-
agogische Fachkraft. In der praktischen
Umsetzung profitieren wir als Team von
dem speziellen Hintergrundwissen über
das Bindungsverhalten und des feinfüh-
ligen Beziehungsaufbaus.Der feinfühlige
Umgang mit dem Kind wird durch einen
Bogen zur Selbstreflektion und durch
Videobeispiele eingeübt.
Ausgehend von unserem pädagogi-
schen Konzept wird das Kind als selbsttä-
tigerAkteur seiner Entwicklung und nicht
als Objekt von Erziehungsmaßnahmen
angesehen. Als soziales Wesen muss das
Kind nicht eingewöhnt „werden“ sondern
wird durch Eltern, Fachkräfte und Kin-
der in seiner Erfahrung begleitet. Wird
die pädagogische Fachkraft als „sicherer
Hafen“ akzeptiert, kann sich das Kind un-
beschwert der Selbstbildung zuwenden.
Dieser Prozess beginnt nicht am ersten
Kindergartentag sondern schon ab der
Unterzeichnung des Betreuungsvertrages.
Die pädagogischen Fachkräfte laden alle
neuenEltern zu einemgemeinsamen Info-
Nachmittag ein.Hier werden, neben dem
gemeinsamem Kennenlernen, vor allem
(Seneca)
Bindung durch Bildung – ein Projektbericht aus der Caritas Tageseinrichtung für Kinder am Steinberg
organisatorische Dinge besprochen und
wichtige Informationen zumProjekt „Bil-
dung durch Bindung“ und zur Eingewöh-
nung weitergegeben.
Daraufhin folgen „Schnupper“-Besu-
che,in denen das Kind und der begleitende
Elternteil jeweils für einen ganzenVormit-
tag und Nachmittag bzw. wöchentlich für
eine Stunde dieGruppe kennenlernen.Die
pädagogischen Fachkräfte versuchen in
dieser Zeit herauszufinden, was das Kind
interessiert und wieman ihmden Einstieg
in den neuen Lebensabschnitt erleichtern
kann. ImElterninterview können sich die
pädagogischenFachkräfte ein genauesBild
über das Kind, seine Eigenschaften, indi-
viduelleVerhaltensweisen und die Dinge
die ihmwichtig sind,machen.Es wird auch
besprochen, welche Rituale undAbläufe
in den Kita-Alltag übernommen werden
können. Je mehr sich die Eltern mit ihren
Fragen und Sorgen angenommen fühlen,
desto entspannter können sie die Einge-
wöhnung begleiten. DasWissen über die
individuellen Bedürfnisse des Kindes ist
die Grundlage für eine feinfühlige Bezie-
hungsgestaltung zwischen der Fachkraft
und dem Kind.
Die Eltern werden auch nach ihren eige-
nen Kindheitserfahrungen befragt:
u
Vielleicht können Siemir einen kurzen
Überblick über Ihre eigene Kindheit
geben?
u
Wo sind Sie geboren?
u
Wo haben Siemit Ihren Eltern gelebt?
u
Haben Sie Geschwister?
u
Beschreiben Sie bitte die Beziehung,
die Sie als kleines Kind zu IhrerMutter
und zu IhremVater hatten.
u
Gibt es etwas bestimmtes, von dem
Sie annehmen, dass Sie es aus Ihren
Kindheitserfahrungen gelernt haben?
u
Was hoffen Sie, wird Ihr Kind einmal
durch seine Erfahrungen mit seinen
Eltern lernen?
Die pädagogischen Fachkräfte bekommen
so einen Eindruck über Bindungserfah-
rungen der Eltern,welche (oft unbewusst)
auf das eigene Kind weitergegeben wer-
den.
Wenn z. B. die Eltern ihre eigenen Er-
fahrungen oder Gefühle herunterspielen,
besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie
auch den kindlichen Trennungsschmerz
nicht als wichtig wahrnehmen werden.
Im weiteren Verlauf der Eingewöhnung
soll die pädagogische Fachkraft als wei-
tere Bezugsperson – neben der Mutter /
dem Vater – akzeptiert werden. Hier ist
Kontinuität besonders wichtig. Das Kind
muss jedenMorgen aufs Neue von seiner
„Bezugserzieherin“ in Empfang genom-
men werden.Anfangs ist dieMutter noch
mit im Raum und fungiert als „sicherer
Hafen“. Frühestens ab dem sechsten Tag
kann einTrennungsversuch vorgenommen
werden. Ist dieser erfolgreich, lässt sich
dieAbwesenheitsdauer der Mutter unter
Beobachtung der kindlichenReaktion im-
mermehr steigern.Hier gilt dieRegel:Das
Kind niemals über einen längeren Zeit-
raum weinen zu lassen. Der andauernde
Trennungsstress kannnegativeAuswirkun-
gen auf die kognitive Entwicklung haben.
DieMutter / derVater hält sich gegenEnde
nicht mehr in der Einrichtung auf, ist aber
jederzeit erreichbar.Abgeschlossen gilt die
Eingewöhnung dann, wenn das Kind die
Fachkraft als „sicherenHafen“ akzeptiert
hat und sich von ihr trösten lässt.
Unterstützungsfaktoren
DerEingewöhnungsprozess stellt nicht nur
das Kind, sondern auch seine Eltern und
dieFachkräfte vor eine neue Situation.Alle
Beteiligten sind aufgefordert sich aktiv
mit der Situation auseinanderzusetzten.
„Für ein Schiff ohne Hafen ist kein Wind der richtige.“
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