caritas aktuell - Ausgabe 02/2016 - page 4

caritas
aktuell
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Strand, Fußball oder Obstwiese? Eine schwierige Frage, über
die Lina, Semi, Halida, Gamze, Phillipp, Mariem, Ranim, Esila
und Khalid da zu entscheiden haben. Es geht darum, wie das Fens-
ter im Rollenspielraum dekoriert werden soll: Für die Strand-Sze-
nerie kann sich Gamze Sandspielzeuge, spielende Kinder und Pal-
men mit Kokosnüssen vorstellen. Passend zur Fußball-Europameis-
terschaft wären Länderfahnen sehr hübsch, findet Halida. Phillipp
fände es schön, eine Obstwiese mit Apfelbäumen, Sonnen-
blumen, Bienen und einem Himmel mit Wolken und Regen-
bogen zu kreieren. „Ich kann mich nicht entscheiden“,
jammert Khalid.
An dieser Stelle würde die Erzieherin die Kinder nor-
malerweise subtil in eine Richtung lenken. Nicht aber in
der Kita Sonnenschein: Sandra Rommerskirchen lässt
die Kinder diskutieren, über Pros und Contras sin-
nieren – und schließlich entscheiden. Dafür gibt es ein
lustiges Abstimmungsgerät. Es hat drei Plexiglas-
Röhren, und über jeder hängt ein Symbolbild für die
drei Wahlmöglichkeiten: eine Strandlandschaft, ein
Fußball und einApfelbaum. Jedes der neun Kinder
hat eine Kugel, die die Mädchen und Jungen in die
von ihnen favorisierte Röhre fallen lassen. Nachein-
ander schreiten die Kinder zurWahl.
Am Ende lie-
gen fünf Kugeln in der Strand-Röhre und vier in der
Fußball-Röhre. BeimApfelbaum ist keine Kugel ge-
landet. Der Rollenspielraum bekommt also ein Strand-
Fenster. Nun könnte man meinen, dass die Fußball-
Fans ob der knappen Entscheidung hadern. Aber
mitnichten: Das Mehrheits-Votum wird mit bemer-
kenswerter Gelassenheit von allen akzeptiert.
Für Sandra Rommerskirchen und Kita-Leite-
rin Irmhild Figgen ist die nette Szene aus dem
Kita-Alltag ein kleiner Schritt auf dem Weg zu
einem großen Ziel: Denn wer mündige Bürger in
einer lebendigen Demokratie möchte, muss früh
anfangen. Und warum denn nicht schon im Kin-
dergarten?
„Eigentlich können auch Kleinkinder
schon recht gut durchdachte und abgewogene Ent-
scheidungen treffen“, sagt Irmhild Figgen. „Wir erle-
ben allerdings, dass diese Fähigkeit abnimmt – auch
weil Eltern und Erwachsene Kindern immer mehr Entscheidungen
abnehmen, um sie nicht zu überfordern. Viele Kinder sind heute
so umsorgt, dass sie nicht mehr für sich selbst sorgen können. Wir
wollen sie frühzeitig zur Selbstständigkeit ermuntern.“
Das Kita-Team hat daher überlegt, wie Kinder ihren kleinen
Kosmos mitgestalten und am Kita-Alltag mitwirken können. Und
so werden die Kinder nun schon seit einiger Zeit erfolgreich ein-
bezogen, wenn Dinge entschieden werden müssen: Was gibt es
zu essen? Was wird heute gespielt? Oder eben: Wie wird das Fens-
Die demokratische Kita
ter im Rollenspielraum dekoriert?
Im Grunde haben Lina, Semi,
Halida und Co. bei ihrer Entscheidung – wenn auch in sehr
kleinemMaßstab – ein parlamentarisches Verfahren durchge-
führt, erklärt Sandra Rommerskirchen: Sie haben diskutiert,
Vorschläge gesammelt und erwogen, Argumente ausgetauscht
Kindertagesstätte
Sonnenschein
Irmhild Figgen
Tel.: 02131/548241
kita.sonnenschein@
caritas-neuss.de
und abgewägt, eine persönliche Entscheidung getroffen und
abgestimmt – ein kleines Lehrstück in Sachen Mitbestimmung
.
Irmhild Figgen und ihr Team haben sehr positive Erfahrungen
mit der Partizipation in der Kita Sonnenschein gemacht: „Die
Kinder lernen: Ich bin Teil der Gesellschaft, ich bin wichtig, ich
kann etwas bewirken. Und sie lernen, bewusste Entscheidungen
zu treffen und Verantwortung dafür zu übernehmen. Das ist die
Basis der Demokratie“, sagt die Kita-Leiterin.
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