news

Von Autohaus, Fußballstadion und Fachkräftemangel

23.06.22, 13:12
Teresa Pochopien
Neue Geschäftführung

Von Autohaus, Fußballstadion und Fachkräftemangel

Beim Sozialdienst katholischer Frauen in Ratingen steht im Juni ein Wechsel in der Geschäftsführung an. Marie-Therese Wirtz-Doerr geht nach 27 Jahren in den Ruhestand. Wer sie kennt, ahnt, dass die vor ihr liegende Zeit wohl kaum etwas mit Ruhe zu tun haben dürfte. Die beiden „Neuen“ sind keineswegs unbekannt und bereits langjährig im Verband tätig. Melanie Reinschmidt, Sozialarbeiterin und seit 2009 in unterschiedlichen Verantwortungen beim SkF beschäftigt, übernimmt die Geschäftsführung im SkF e.V., sozusagen die Mutter der beiden Töchtergesellschaften Arbeit und Integration (AuI) Ratingen gGmbH und dem Sozialpsychiatrisches Zentrum Ratingen gGmbH (SPZ). Katrin Richter ist seit 2015 beim SkF beschäftigt und übernimmt die Geschäftsführung der SkF AuI Ratingen gGmbH. Als familienfreundlicher Arbeitgeber entscheidet sich der SkF für zwei Geschäftsführerinnen als Nachfolge, um Leitung auch in Teilzeit zu ermöglichen.

Die Interviewerin traf bei selbstgebackenem Nuss-Hefezopf auf eine geballte Runde heiterer Frauenpower mit viel Schwung und ernsten Themen. Bei dem etwa einstündigen Ritt bzw. eher Galopp durch die Vergangenheit des Verbandes, die Gegenwart und mit einem Ausblick auf die erwarteten Herausforderungen entstand bei der Interviewerin ein bleibender Eindruck. Dieser lässt sich am besten mit dem Titel: „Also den Job muss man schon wollen!“ beschreiben. Deutlich wurde eine tiefe Überzeugung und eine große Verbundenheit mit allen Menschen, die im SkF beschäftigt sind. Immer wieder wurde im Austausch klar, dass Leitung keine „One-Woman-Show“ sei, sondern es immer um Teamwork gehe. 

An Marie-Therese Wirtz-Doerr (MTWD): Die Ex-Kanzlerin antwortete auf die Frage, was sie nun im Ruhestand tun werde:

„Dann werde ich vielleicht versuchen, was zu lesen, dann werden mir die Augen zufallen, weil ich müde bin, dann werde ich ein bisschen schlafen, und dann schauen wir mal.“

Wie ist Ihr Plan für die nun vor Ihnen liegende Zeit?
MTWD: „Auf jeden Fall NICHT mit dem Wohnmobil verreisen!“, betont die langjährige Geschäftsführerin. Ihr sei dies nun schon von mehreren Seiten vorgeschlagen worden, aber die passionierte Rad- und Motorradfahrerin bleibe lieber bei zwei Reifen.
MTWD: „Ich mache mir gar keine Gedanken, dass mir nicht was einfällt mit meiner Zeit, aber ich möchte jetzt keine Pläne mehr machen müssen.“ 

Wer waren wichtige Personen in Ihrer Zeit beim SkF?
MTWD: „Am Anfang war sicher Herr Schutte eine gute Starthilfe, der Geschäftsführer der Diakonie, der zu meinem Beginn schon ein „alter Hase“ in seinem Bereich war. Die Gespräche waren wichtig, um persönliche Wahrnehmungen zu überprüfen und fachliche Einschätzungen zubekommen. Generell war Austausch auf verschiedenen Ebenen immer wichtig. 
Trotz auch unterschiedlicher Meinungen gab es eine starke Verbundenheit mit Frau Bohnen, was die Werte und die Haltungen betraf, den Blick auf die Klient*innen, die Zielsetzungen des Verbandes und natürlich die sozialpolitischen Entwicklungen. Das hat sehr motiviert und im Zusammenspiel auch sehr viele gute Dinge nach vorne gebracht. Das hat ziemlich Spaß gemacht.“

Wenn ich Ihnen zuhöre, entsteht für mich auch der Eindruck eines anstrengenden Jobs – wieso macht man den eigentlich oder wieso will man den eigentlich machen?
MTWD: „Zu streiten und sich einzusetzen für Menschen in schwierigen Lebenslagen motiviert total. Was auch toll war in all den Jahren: wir haben viel konzeptionell gearbeitet und vieles aufgebaut und weiterentwickelt. Der Verband ist ja auch ein ganzes Stück größer und differenzierter geworden. Das macht schon Spaß. Aktivierend war auch das Hotel, was wir 2009 aufgebaut und betrieben haben – innerhalb von sechs Wochen mussten wir zusammen mit der Diakonie eine gGmbh gründen, eine Struktur aufbauen, Mitarbeiter*innen finden und das Hotel eröffnen und betreiben. Das war schon motivierend, wenn auch anstrengend.“
Die Interviewerin denkt sich an der Stelle, dass es wohl doch ein recht unterschiedliches Verständnis von Spaß gibt und spürt bei dem Gedanken an diese Aufgabe einen deutlichen Pulsanstieg und Schweißperlen auf der Stirn.

Man merkt auch ein bisschen Stolz und den Kämpfergeist, als MTWD beschreibt: „Obwohl an so vielen Stellen in den Jahren gemurrt wurde: das kann man nicht, das geht nicht, sind wir da schon ganz gut durchgekommen.“ Sie spricht oft im wir und meint damit den Vorstand und immer auch die Mitarbeitenden im SkF. 

Und weil es im Gespräch mit MTWD auch oft um Widerstände geht, kann sich die Interviewerin nicht verkneifen zu fragen, ob es wohl eine gewisse Lust und Freude am Konflikt gibt?
MTWD: „Keine Freude am Konflikt! Was notwendig war, ist politisch verantwortlichen Menschen, die wenig Kontakt zu unserem Klientel haben, an Beispielen aufzuzeigen, in welchen Lebenssituationen sich Menschen mit schwierigen sozialen Lebenslagen befinden und welche Unterstützungen sie dringend benötigen. Ja, dass die Welt eben für manche Menschen anders aussieht und wir die Unterstützung von Politik, Verwaltung und Geldgeber*innen dringend brauchen, um unsere Hilfen bedarfsgerecht und zielorientiert anbieten zu können. Das geht eben nicht immer ohne Meinungsverschiedenheiten. Dabei geht es auch um unsere Arbeitsfähigkeit im Verband und es geht auch um die Mitarbeitenden.“

Beim Stichwort „wichtige Haltestellen, Umstiege, Stationen“ in Ihrem Berufsleben - was fällt Ihnen sofort ein?
MTWD: „Ein Highlight war sicherlich die Demo. Das war schon irre. 2011 gab es in der Arbeitsmarktförderung die sogenannte Instrumentenreform. Da ging es insgesamt um die Perspektiven von Beschäftigungsförderung. Was da politisch auf den Weg gebracht werden sollte, fanden wir unrealistisch und unpraktikabel und haben uns in dem Zuge dazu ziemlich politisch aufgestellt. Zusammen mit der Diakonie sind wir mit 500 Leuten durch die Ratinger Innenstadt gelaufen. So sind wir auch nach Berlin eingeladen worden, um dort mit dem Staatssekretär des Arbeitsministeriums zu diskutieren. Das war schon eine sehr intensive Arbeit. Der Besuch war dann auch ein Highlight. Nie vergessen werde ich die Einladung von Herrn Wierichs ins Adlon zum Kaffee.“ 

An Melanie Reinschmidt (MR) und Katrin Richter (KR): Wenn Sie das so hören, was motiviert Sie denn?
KR: „Was tatsächlich ein Aspekt für mich ist, ist dass die Geschäftsführung der Beschäftigungsförderung jetzt ein eigenes Gesicht bekommt. Dies empfinde ich als deutliches Zeichen der Aufwertung und Wertschätzung dieses Arbeitsbereichs. Ich sehe meine zukünftige Rolle unter anderem auch so, dafür Sorge zu tragen, gute Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter*innen zu schaffen, so dass die Klient*innen bestmöglich von unseren Angeboten profitieren können. Ich denke, dass die Situation von arbeitslosen Menschen in unserer Gesellschaft zu wenig Beachtung findet. Dies zu verändern, dafür setze ich mich gerne ein. Und in der Position der Geschäftsführung auch tatsächlich Einfluss nehmen zu können, ist einerseits eine hohe Verpflichtung, gleichzeitig aber auch ein Privileg.
Außerdem ist für mich auch wichtig bei der Entscheidung gewesen und das motiviert mich auch, dass ich die handelnden Personen kenne. Ich kenne die Mitarbeitenden, die Kooperationspartner, ich kenne einen Teil der Klient*innen – ich weiß genau, auf was ich zählen kann. Trotz anstehender Herausforderungen habe ich grundsätzlich das Gefühl, dass ich mich auf die Menschen verlassen kann, mit denen ich agiere. Das ist ein ganz wichtiger Faktor.“

Es gab nie einen Plan, irgendwann Geschäftsführerin zu werden? 
KR: „Nein. Mein bisheriger beruflicher Weg verlief aber auch nicht nach Plan. Umzüge mit der Familie machten mehrfach berufliche Veränderungen notwendig. Daraus habe ich unter anderem gelernt, Gelegenheiten zu erkennen und aus den vorhandenen Möglichkeiten das Beste zu machen.“

MR: „Auch mir ging es wie Frau Richter: es ist nicht so, dass ich das Ziel Geschäftsführung verfolgt habe. Mir hat im Leben immer schon sehr geholfen, eher zu überlegen, was will ich nicht. Eine große Motivation für die Entscheidung eine so verantwortungsvolle Rolle zu übernehmen, ist die Identifikation mit dem SkF – ich empfinde mich schon als SkF-Kind, auch wenn ich zuvor schon woanders berufliche Erfahrungen sammeln konnte.
Ergänzend war für mich ebenso hilfreich, dass ich gut aus meiner vorherigen Position als Bereichsleiterin gehen konnte und meine Nachfolge dort geregelt und gut besetzt wurde. Die SkF-Nachfolgeplanung ist ja eine Entscheidung im Paket und nicht nur an einer Stelle.“

Was sind die Herausforderungen des SkF in den nächsten Jahren?
MR antwortet prompt mit einem Lachen: „Also Frau Richter kriegt ein großes Autohaus, damit sie alle Sozialkaufhäuser dort unterkriegt!“
Hinter dem scherzhaften Einwurf steht aber eine klare Herausforderung – die Sozialkaufhäuser des SkF Rock und Rolli und die Möbelkammer brauchen Platz und gute Arbeitsbedingungen.

KR: „Wenn man mich nach Träumen fragt, dann träume ich von einem Autohaus mit verglasten Außenwänden, natürlich einer guten Werkstatt, guten Zufahrten, genügend Lagerfläche, zwei Etagen mit Rolltreppe und oben Beratung, Begegnung und neuste Technik. Dahinter steckt, dass ich gerne einen soliden Bestand für die Beschäftigungsförderung hätte, dazu gehört auch eine stabile Finanzierung. Das ist mir eine Herzensangelegenheit.
Ich hätte gerne die Möglichkeit, dass Menschen, die, warum auch immer, auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Platz haben, dauerhaft eine sinnvolle Beschäftigung angeboten werden kann und so ein Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit geleistet werden kann. Ich schließe mich daher auch voll und ganz den Forderungen der Initiative #DauerhafterLockdown an.“

MR: „Ich sehe die Herausforderung des Fachkräftemangels immer massiver auf uns zukommen. Daher müssen wir den SkF als attraktiver Arbeitgeber hochhalten für jetzige und neue Mitarbeiter*innen. 
Ein Herzensanliegen für mich ist ein neues, stationäres Angebot für psychisch erkrankte, wohnungslose Menschen. Das wird dringend benötigt.
Weitere Herausforderungen sind aktuell besonders stark weltpolitisch geprägt. Das war es natürlich immer schon, aber wir haben ja im Moment eine so zugespitzte Lage, die so keiner voraussehen konnte und man noch nicht weiß, wo es hinführt. Die Schere zwischen arm und reich geht rasant weiter auseinander und die steigenden Energiekosten sind nicht nur für unsere Klient*innen ein massives Problem.“

Ganz ehrlich: Haben Sie Angst zu scheitern?
MR: „Ja klar werden wir bei der ein oder anderen Aufgabe scheitern! Jeder Mensch tritt mit Stärken und Schwächen an und Fehler gehören dazu, die Rahmenbedingungen sind oft auch schwierig. Aber es kommt darauf an: was macht man dann damit? Und ein wichtiger Aspekt ist bei dieser Frage - und das hatten wir auch schon vorher -, dass man weiß, mit wem man den Weg geht.“

KR: „Vor Scheitern habe ich keine Angst. Man muss damit ja rechnen, dass ein Ziel, das man sich setzt, nicht erfüllt wird. Meine Sorge wäre eher, gravierende Fehler zu machen, aus denen negative Auswirkungen für die Mitarbeiter*innen und Klient*innen resultieren.“

MTWD: „Es ist ja auch die Frage, was Scheitern genau bedeutet. Und die Frage ist, ist es wirklich Angst oder hat man einfach Respekt vor der Arbeit? Ich glaube schon, die Sorge zu haben, bestimmte Dinge nicht gut zu bedienen, die hat man ständig!“
An dieser Stelle unterbrechen die beiden anderen und sagen fast gleichzeitig, dass man diese Sorge ja auch schon zuvor gespürt habe und dieses Gefühl jetzt nicht neu sei.
MTWD: „Ja eben – und in der Leitung muss man mit solchen Ambivalenzen zurechtkommen, die muss man auch managen können, deswegen heißt es ja auch nicht von ungefähr, dass Selbstmanagement eine der wesentlichen Fähigkeiten in einer Leitungsposition ist.“

Und wenn es mal nicht um Arbeit geht? Bei welchen Tätigkeiten oder wo vergessen Sie die Zeit?
MR: „Definitiv im Stadion – 95 ole!“
KR: „Basketball gucken – natürlich die Uuuulmer!“
MTWD: „Urlaub vorbereiten – ich kann man mich darin vertiefen, Optionen herauszusuchen und zu recherchieren.“ 
Dazu die direkt passend die anderen:
KR: „Das mache ich nie – ich lasse das auf mich zu kommen.“
MR: „Ich mache das immer während der Autofahrt in den Urlaub.“

Die Interviewerin denkt an der Stelle an ein Zitat: Wege entstehen, in dem man sie geht. 

 

Steckbriefe:

Melanie Reinschmidt ist Sozialarbeiterin und seit 2009 beim SkF beschäftigt. Sie war zunächst Fachdienstleiterin des Bereichs Kindertagespflege, bis sie 2018 Bereichsleitung wurde. Sie ist 45, verheiratet und Mutter eines Teenager-Sohns.

Katrin Richter ist 46, verheiratet und Mutter einer Teenager-Tochter. Sie ist Sozialpädagogin und begann 2015 als Fachdienstleitung in der BOJE, seit 2020 war sie Bereichsleitung in der Beschäftigungsförderung Arbeit und Integration. 

Marie-Therese Wirtz-Doerr war seit dem 01.06.1995 mit einer Unterbrechung Geschäftsführung im SkF. Als Erziehungswissenschaftlerin hat sie in einem Jugendzentrum begonnen. Nach einigen Jahren im Diözesan-Caritasverband in Köln wurde sie Geschäftsführerin des SkF Ratingen. In die Dienstjahre von Frau Wirtz-Doerr fielen die Gründung des Vereins zur Förderung der Über-Mittag-Betreuung in Ratingen, die Ausgründungen der beiden gGmbHs (Beschäftigungsförderung und Sozialpsychiatrisches Zentrum), der Aufbau und die Begleitung von Gewaltlos.de.